Eine Kuh und ihr Kalb, die zwei gehören zusammen wie Mutter u. Kind. Das meint auch Mechthild Knoesel: „Ich wollte der Kuh die Beziehung zu ihrem Kalb zurückschenken.“ Knösel ist Landwirtin auf Hofgut Rengoldshausen am Bodensee, einer Erzeugergemeinschaft mit Ackerbau und Viehzucht. Dort kümmert sie sich um 50 Milchkühe und deren Nachzucht.
Seit neun Jahren wird dort erfolgreich die muttergebundene Kälberaufzucht betrieben. Mechthild Knösel: „Gerade in den ersten Wochen sind Kälber sehr labil. Daher bleiben bei mir Mutter und Kalb in den ersten drei Lebenswochen die ganze Zeit zusammen. Das Kalb kann dann so oft und so viel trinken wie es will u. sich so gesund entwickeln. Nach den drei Wochen ist es dann stabil, und die Kuh wird wieder für ein paar Stunden zur Herde gelassen. Die folgenden drei Monate wird das Kalb dann zwei Mal am Tag für jeweils eine Stunde zur Mutter gelassen. Es saugt nur zehn Minuten, dann ist es satt. Danach haben Kuh und Kalb Zeit zum Schmusen und Schlecken,dann ist es auch wieder gut: Das Tor geht auf und die Kuh geht raus.“ Die Kälber gehen zurück in ihren „Kälber-Kindergarten“, und der Rest der Milch kann gemolken werden, wie gehabt. Mechthild Knösel: „Immer vor dem Melken der Kühe werden die Kälber zu ihnen gelassen.
Alles geschieht in der Gruppe. Die Gruppe ist vom ersten bis zum vierten Monat bunt durcheinander gewürfelt. Erst nach vier Monaten trenne ich die Kälber nach Geschlecht und Alter in verschiedene Gruppen auf. Die Mädels, die zeitgleich zur Welt gekommen sind, bleiben weiterhin zusammen. Später bekommen sie auch zeitgleich ihr erstes Kalb, säugen gemeinsam u. werden gemeinsam gemolken. Das ist toll! Für mich ist die muttergebundene Aufzucht wesentlich für eine artgerechte Tierhaltung.“ Die Kälber zeigen dabei auch so gut wie keinen Trennungsschmerz, sagt Knösel. „Für die Kühe ist der Schmerz sehr individuell. Es gibt Kühe die leiden leise, andere leiden laut, und es gibt alles dazwischen. Das Ärgste was passieren kann, dass eine Kuh mal eine Nacht durchschreit. Das ist aber nicht die Regel; für mich ist die muttergebundene Aufzucht wesentlich für eine artgerechte Tierhaltung. Auch wenn die Mütter kurze Zeit leiden, möchte ich ihnen diese Bindung nicht vorenthalten. Und durch die muttergebundene Aufzucht ist der Kreis geschlossen. Die Kälber, die so aufgewachsen sind, machen es dann selbst als Mutter schon besser. Sie sind ruhiger, so als wüssten sie, wie es läuft. Außerdem gibt es bei mir keine abrupte Trennung, sondern sie werden stufenweise voneinander entwöhnt.“ Dabei wird nach drei Monaten zuerst die Mutter über fünf Tage entwöhnt und darf in dieser Zeit nur noch einmal am Tag zum Kalb. Das Kalb nimmt dann die zweite Mahlzeit bei einer „Amme“ ein. Wobei die Amme aber selbst Mutter eines Kalbes ist und dieses sowieso säugt. Mechthild Knösel: „Das eigene Kalb bekommt dabei natürlich den besten Platz, ein anderes darf aber auch trinken. Die Kälber sind von Anfang an sehr flexibel und orientieren sich um.“ Die Kälber seien weniger gestresst und aktiver, sie seien sozial kompetenter und lernen viel von der Mutter. Leider betreiben nur wenige Landwirte die muttergebundene Aufzucht. Knösel meint, es sei zu wenig erforscht: „Man weiß zu wenig darüber. Als ich meine Meisterarbeit gemacht habe, habe ich Verschiedenes ausprobiert. Ich hatte drei Gruppen: eine ammen- und eine muttergebundene Gruppe und eine Gruppe, die mit dem Eimer aufgezogen wurde. Das Resultat: Das Wachstum und die Gesundheit bei den muttergebundenen Kälbern hat alles getoppt. Bei der Aufzucht mit dem Eimer hingegen gab es viele gesundheitliche Probleme, die Kälber hatten oft Durchfall.“ Das Interview mit Mechthild Knösel ist von KUH+DU von der Welttierschutzgesellschaft WTG.
Die Milchwirtschaft steckt in der Krise. Es ist zu viel Milch auf dem Markt. Würde Knösels Modell der muttergebundenen Milchtierwirtschaft die Situation nicht verbessern? Für viele Nutztiere gibt es Tierschutz-Richtlinien, für Rinder nicht. Die Welttierschutzgesellschaft fordert diese Richtlinien zum Schutz der Tiere auch für Rinder; in einer Petition auf ihrer Seite können Sie mithelfen.
a) Der Milchpreis steckt im Rekordtief – die WTG resumiert: 46 Cent kostet der Liter Milch derzeit in deutschen Supermärkten. Was viele Verbraucher freut, treibt die Landwirte in den Ruin. Bei ihnen kommt gerade einmal die Hälfte des Verkaufspreises an – zu wenig, um wirtschaftlich arbeiten zu können. Christian Schmidt hat auf dem Milchgipfel eine Soforthilfe* von 100 Millionen Euro versprochen. Das System Milchwirtschaft bleibt unangetastet: Kranke Tiere, die auf Hochleistung gezüchtet sind, mit Kraftfutter gefüttert werden und ausschließlich im Stall stehen, gehören in der modernen Milchwirtschaft schon lange zum Alltag (siehe dazu „Die Milchmaschine“ Zeit Dossier vom 16.7.2016). Die Landwirte haben zwar unmittelbaren Einfluss auf das Wohlergehen ihrer Tiere, stehen aber in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Molkereien, dem Handel, den Verbrauchern und schließlich der Politik. Wir alle tragen die Verantwortung dafür, wie es Milchkühen in Deutschland geht, denn eine tiergerechte Milchkuhhaltung lässt sich nur mit fairen Preisen für die Bauern realisieren. In Zeiten eines anhaltenden Überangebots an Milch bei gleichzeitig stagnierender weltweiter Nachfrage ist die Gefahr groß, dass das Wohl der Tiere ohne gesetzliche Regeln auf der Strecke bleibt. WTG fordert: Eine Haltungsverordnung für Milchkühe, die tiergerechte Mindeststandards für die Haltung der Tiere gesetzlich verankert, Vorrang der Weidehaltung während der Vegetationsperiode, die dem natürlichen Bewegungsbedürfnis der Kühe gerecht wird. Zudem ist Weidemilch auch für uns Verbraucher nachweislich gesünder. Molkereien könnten tiergerecht arbeitende Landwirte unterstützen und mit einem Bonussystem die Haltung von robusten und gesunden Zweinutzungsrassen anstelle von krankheitsanfälligen Hochleistungsrindern finanziell fördern. Selbst der Landwirtschaftsminister empfiehlt einen Umstieg auf Ökolandbau, der laut seiner Aussage weniger vom Preiskampf betroffen ist. So könnte dem Überangebot an Milch auf natürliche Weise entgegengewirkt werden. Gleichzeitig müssen Verbraucher informiert sein über eine seriöse und verbindliche Kennzeichnung erkennen können, wie die Tiere gehalten werden. Stefanie Timm, Welttierschutzgesellschaft e.V., Berlin www.welttierschutz.org
b) Die Grünen signalisieren nun auch gewünschte Veränderung im Tierschutz mit ihrem kürzlich veröffentlichten „Pakt für faire Tierhaltung„. Es ist ein politisches Papier, aber gut. Es bleibt abzuwarten was davon wie und wann umgesetzt wird.
c) Auf dem Milchgipfel kürzlich greift der Landwirtschaftsminister tief in die Tasche, 100 Millionen Euro will er für die Milchbauern locker machen – doch was dann? Würde das den Landwirten wirklich langfristig aus der Patsche helfen oder dem Kalb zurück zu seiner Mutter?
d) BUND-Kommentar vom 26.5. zum „Milchgipfel“ von Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt sagte Hubert Weiger, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND): „Der Handel nutzt die Überschuss-Situation schamlos aus und zwingt die Milchbauern in die Knie. Milch darf nicht länger unterhalb der Erzeugerkosten verramscht werden. Schuld sind aber nicht nur Supermärkte und Discounter, sondern auch die Bundesregierung und der Bauernverband, die auf Wachstum und eine aggressive Exportpolitik setzen. Die Landwirte brauchen jetzt dringend eine Steuerung des Milchmarktes entsprechend des tatsächlichen und regionalen Bedarfs. Es geht nicht nur um Preise und die Milch, sondern um viel mehr. Wird das Höfesterben nicht gestoppt, sind das wertvolle Grünland und damit auch die Artenvielfalt in der Agrarlandschaft gefährdet. Das Grünland braucht Tiere, die es als Futtergrundlage verwerten.“
e) ABL heute: Die DMK-Molkereispitze agiert gegen die Bauern. Neue Milchpreissenkung. Strategie auf Kosten der Bauern
Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) wirft dem größten deutschen Molkereiunternehmen, dem Deutschen Milchkontor (DMK), „Irreführung“ von Öffentlichkeit und Politik vor, sowie Preisdumping, zulasten der eigenen Genossenschaftsmitglieder. Die Milchmenge je DMK-Milcherzeuger sinke nicht, sondern sei um 8,7 Prozent höher als 2015.
Vor der Bilanzpressekonferenz und Vertreterversammlung der größten deutschen Molkerei Deutsches Milchkontor (DMK) wirft die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) der Spitze der Genossenschaft unverantwortliches Handeln vor. Die Molkereiführung habe den Milchbauern gerade mitgeteilt, den Grundpreis für die im Juni gelieferte Milch nochmals um 1 Cent je kg abzusenken auf dann nur noch 20 Cent je kg Milch. „Seit Monaten fordern wir die DMK-Spitze auf, einen aktiven Beitrag zur Lösung der Krise am Milchmarkt zu leisten und einen befristeten Bonus für Mengenvernunft einzuführen. Damit sind die Betriebe zu honorieren, die ihre Milchmenge nicht immer weiter erhöhen, sondern um einige Prozent reduzieren. Die DMK-Molkereiführung hat das rundweg abgelehnt, obwohl auch sie die Übermenge am Milchmarkt für den starken Preisverfall verantwortlich gemacht hat. Sie ist noch nicht einmal zu so einem Bonus bereit, wenn andere Molkereien mitziehen. Die Quittung sind fallende Milchpreise, zu denen die Milchbauern durch die Bank Verluste machen. Die Spitze dieser Genossenschaftsmolkerei handelt unverantwortlich“, kritisiert Georg Janßen, Bundesgeschäftsführer der AbL. „Offenbar kalkuliert die Molkereiführung die Verluste auf den Höfen ganz bewusst ein, um der Molkerei mit Billigangeboten Marktanteile zu sichern“, ergänzt Janßen. Er bezieht sich dabei auf eine Äußerung des Aufsichtsratsvorsitzenden der DMK Group, Otto Lattwesen, auf dem Verbandstag des Deutschen Raiffeisenverbandes am Donnerstag letzter Woche (16.06.2016) in Berlin. Dort hat er nach Medienberichten gesagt, dass die Milchbauern auf einen „Teil des Milchgeldes“ verzichten sollten, damit die Molkerei neue Absatzmärkte erschließen könne. „Die Molkerei bedient sich nach Gutsherrenart bei den Milchbauern. Das ist das Gegenteil von solidarischem Handeln im Sinne der Genossenschaftsmitglieder“, kommentiert Janßen. Von daher sei es nur folgerichtig, dass das Bundeskartellamt ein Verfahren zur Prüfung der Geschäftspolitik der DMK-Molkerei eingeleitet habe. Für eine nachhaltige Preiswende am Milchmarkt sei jetzt eine gemeinsame Strategie mit den Bauern notwendig, um für eine gezielte Verringerung der Milchmenge zu sorgen. Die Überschüsse im Markt müssten gezielt abgebaut werden, etwa durch Reduzierung der Kraftfuttergaben oder Milchverfütterung an Kälber.Diese Mengensteigerung der DMK-Lieferanten liege noch über derjenigen des Landes Niedersachsen/Bremen, das bundesweit die höchsten Steigerungsraten in der Milcherzeugung aufweist (6,2 % laut Zahlen der Bundesanstalt BLE). „Das DMK ist angesichts der durchschnittlichen Mengensteigerung ihrer Milchlieferanten in der besonderen Verantwortung, endlich aktiv gegenzusteuern“, fordert Ottmar Ilchmann, stellvertretender Vorsitzender der AbL. „Das Überangebot an Milch hat zu den katastrophal niedrigen Milchpreisen geführt, die für uns Milchbauern Verlust mit jedem Liter Milch bedeuten. Wir erneuern unsere Forderung an die DMK-Spitze, jetzt kurzfristig einen befristeten Bonus für die Milcherzeuger einzuführen, die aus Verantwortung für die gesamte Branche ihre Milchmenge um ein paar Prozent drosseln“, führt Ilchmann aus. Der stellvertretende AbL-Vorsitzende erinnert die DMK-Führung an ihren gesetzlichen Auftrag: „Der Vorstand der Genossenschaft hat zum Wohle aller Genossen zu handeln. Die Belieferung von Trinkmilch an ALDI für dessen Billigstangebote widerspricht diesem Auftrag.“ Laut DMK-Rundbrief erwirtschafte die Molkerei daraus einen Milchpreis, der noch unterhalb der 19-20 Cent Verwertung für die EU-Lagerhaltung von Magermilchpulver liege. Wachstum auf Kosten der Milchbauern ist für eine Genossenschaft das Gegenteil von einem ‚funktionierenden Marktsystem‘, wie es der DMK-Vorstand bezeichnet hat“, mahnt Ilchmann.
Quellen: „Milchwelt“, Mai 2015. Info für Milchlieferanten der Deutsches Milchkontor eG, Mai 2016.
Der starke Produktionsanstieg in Deutschland und Europa sei ausschlaggebend für das massive Überangebot an den Weltmärkten, das zum existenzbedrohenden Preisverfall geführt habe. So ist seit 2011 die Erzeugung in der EU um elf Millionen Tonnen gestiegen. Allein in Deutschland stieg die Milchmenge in diesem Zeitraum um 2,8 Millionen Tonnen an. Im Zuge der Abschaffung der Milchquote 2015 erfolgte die Überschussausweitung in besonders großen Schritten. Die globale Nachfrage nach Milch stieg nicht in gleichem Maß. „Die Strategie der deutschen und europäischen Milchwirtschaft, in der Hoffnung auf steigende Exporte immer mehr Milch zu produzieren, ist für die Bauern krachend gescheitert“, erläutert Jutta Sundermann von der Kampagnenorganisation Aktion Agrar. „Die niedrigen Preise zwingen in Deutschland und in der EU Tausende Höfe zum Aufgeben.“ Tobias Reichert von der Entwicklungs- und Umweltorganisation Germanwatch ergänzt: „Neben den Landwirten hierzulande sind auch Viehhalter in Entwicklungs- und Schwellenländern massiv betroffen. Sie sehen sich starker Konkurrenz durch billige Milchimporte ausgesetzt. So werden Möglichkeiten zerstört, durch Milcherzeugung vor Ort Armut zu verringern und regionale Wirtschaftskreisläufe aufzubauen. Statt „mehr und billiger“ sollte „weniger und besser“ Milch erzeugt werden. Als Einstieg müssten Molkereien den Milchbauern Anreize geben, ihre Produktion zu senken. Mittelfristig sollten diese auch begleitet von staatlicher Unterstützung mit einer Strategie verknüpft werden, die eine höhere Wertschöpfung und auskömmliche Erzeugerpreise ermöglicht. Es sollten verstärkt Anreize gesetzt werden, Milch mit speziellen Qualitätsmerkmalen wie lokaler und gentechnikfreier Fütterung, Weide- oder Heumilch zu erzeugen.
Leider ist es nicht nur so, dass unsere Milchpolitik den Viehaltern Konkurrenz macht, es ist weit umfangreicher. Unsere Hochleistungskühe benötigen zur Milchproduktion Kraftfutter
(siehe dazu auch den Spiegel vom 21.5.2016 „Zu viel Kraftfutter“). Dieser Mais, oder Soja kommt zu 90 % aus Südamerika, den USA oder Afrika und ist zu wiederum 90 % gentechnisch manipuliert. Über die Milch der Kraftkühe gelangt das gentech-Futter so in unsere Nahrungskette. In den Produktionsländern führt sie zu Monokulturen und hat dazu oft die Vertreibung der urspünglichen Kleinbauern zur Folge – siehe „Agrokalypse- der Tag an dem das Gensoja kam.
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