Der neue Wenders ist grenzenlos – eine moderne, geopolitische Liebesgeschichte in der Wenders, in Zusammenarbeit mit der amerikanischen Autorin Erin Dignam, mehrere Handlungsstränge geschickt miteinander verknüpft: Ein Erzählstrang spielt in Afrika und handelt von einem Spion, der in die Hände von engagierten Dschihadisten gerät. Der zweite Strang beschäftigt sich mit einer engagierten Biomathematikerin, die nach dem Ursprung des Lebens in den Tiefen des Ozeanes forscht. Und der Dritte spielt in Frankreich. Er verknüpft die beiden anderen, und ist das Herz der Geschichte.
Die junge Wissenschaftlerin Danny Flinders (Alicia Vikander) und der investigative Journalist James More (James McAvoy) treffen sich, so wie man es sich wünscht, rein zufällig in der Normandie, in der realen Welt. Sie lässt ihren Gedanken bei einem Strandspaziergang freien Lauf und er joggt dynamisch an ihr vorbei, lässt seine Muskeln spielen und schaut über die Schulter zu ihr zurück. Das Meer rauscht und die Wellen brechen sich an den Felsen am Strand, während ihr Blick sich verfängt. Ein Lächeln und die ganze Welt, um die junge, hübsche Danny Flinders und den sportlichen James More, versinkt. Die beiden Schauspieler bestechen mit einer Leichtigkeit die auf ihrer Selbstbestimmtheit basiert. „Wim schreibt nicht vor wie eine Szene gespielt werden soll, er erklärt sie nur. Er bringt uns Schauspieler dazu, zu tun was er möchte, ohne jemals zu sagen was wir tun sollen,“ sagt James McAvoy. Und auch für Vikander ist mit dieser Rolle ein Traum in Erfüllung gegangen: „Wenders ist mutig. Er wagt es, sich mit seiner Bildsprache und seinen Geschichten selbst zu erforschen und an Grenzen zu gehen. Er hat keine Angst neue Wege zu gehen; das gibt mir auch Sicherheit vorwärts zu gehen,“ erklärt sie.
Aber Wenders ist auch akribisch und detailorientiert. Das abgelegene Hotel, ganz im Stil von „Arts and Crafts“, bietet die perfekte Kulisse. In der geräumigen Eingangshalle stolpern die beiden erneut übereinander, zwei schöne junge Unbekannte. Jeder für sich den Kopf schon voller verwegener Pläne für die Zeit nach ihrer kurzen Erholungspause. Lässig versunken in gemütlichen Ledersesseln vor einem einladend prasselnden Kaminfeuer, taxieren sie einander. Es mündet in hungriges Begehren und in ein vertrauensvolles Versprechen für die Ewigkeit. Es ist eine Liebe dieser Zeit, modern und aufgeschlossen. Jeder fühlt sich aufgehoben im Anderen mit der gegenseitigen Erkenntnis, dass jeder außerhalb ihrer starken Zweisamkeit eigene Verpflichtungen hat, eigene Ziele und darin für sich selbst gut und grade stehen kann, und will. In ihrer Eigenständigkeit sind sie besonders stark und bedingungslos. Voll Neugier und Interesse taucht jeder ein in die Welt des Anderen die so ganz anders ist. Vikander gefällt diese Gegensätzlichkeit: „Sie teilen die Leidenschaft für ihre Arbeit und es bereitet ihnen großes Vergnügen sich dabei gegenseitig in Frage zu stellen. Als ob man jemandem eine Idee zuwirft, der intelligent genug ist sie zu verstehen, sie aber nicht auf sein eigenes Fachgebiet anwenden kann.“
Das ist das Entree dieser faszinierenden Geschichte, die auf wahren Begebenheiten beruht. Der britische Journalist Jonathan M. Ledgard hat sie aufgeschrieben, als er in Ost-Afrika für den Daily Express Informationen sammelte. Seine Erfahrungen, die er in dieser Zeit machte, schrieb er auf. „Grenzenlos“ ist die Verfilmung seines erfolgreichen Romans „Submergence“. „Ein geopolitischer Roman, weil es um die Erde geht, unsere Herkunft und den Meeresboden,“ erzählt Ledgard. Es geht darum wo wir jetzt stehen, im Hinblick auf Kriege, Hungersnöte, Überbevölkerung und viele andere Dinge. Es geht also um Vergangenheit und darum, ob wir eine Zukunft haben. Ledgard entwickelte in „Submergence“ drei ganz unterschiedliche, sich überschneidende Welten, die Kameramann Benoît Debie mit ungewöhnlichen Einstellungen ästhetisch und cool verbindet.
Kurz nachdem Danny und Jack in Frankreich ihre Liebe entdecken, müssen sie sich wieder trennen. Der als Wasserbauingenieur getarnte James More verlässt Europa zum Sprung nach Afrika. Dabei kommt heraus, dass er eigentlich für den britischen Geheimdienst arbeitet. Er soll in Somalia eine Organisation aufspüren, die Selbstmordattentäter nach Europa entsendet. Kein Spaziergang also! More taucht ein in die kompromisslose Welt der Dschihadisten und gerät prompt in deren Gewalt, abgeschnitten von jeglichem Kontakt in die Außenwelt. Ohne Handy kann er nur noch von Danny und seiner Liebe träumen. In Gedanken erzählt er ihr was passiert ist. Er fühlt sich auch ohne „heißen Draht“ stark mit ihr verbunden.
Wenders verwendet wie immer viel Feingefühl darauf schwierige Situationen zu zerlegen um sie dann verständlich neu zu arrangieren. Das zerrissene Land „Somalia“ allgemein, und Jacks Verwicklungen darin, hat er akribisch herausgearbeitet. Er stellt Schauspieler ein die ursprünglich aus Somalia kommen und bespricht die Szenen mit ihnen. Wenders will von vorne herein Transparenz schaffen und Authentizität. „Ich fand, dass die einzig mögliche Herangehensweise an die Charakterisierung der Dschihadisten war, sie als Menschen zu zeigen, vor allem als Menschen, die an etwas glauben“, erklärt Wenders. „Auch, wenn es ein Glaube ist, den ich auf keinen Fall teilen kann, fand ich es interessant und war der Meinung, dass wir sie ernst nehmen mussten.“
In diesem Teil des Filmes übernehmen die wichtigsten Rollen der französische Schauspieler Reda Kateb als Selbstmordattentäter Saif, der Brite Alexander Siddig als Dr. Shahid und der in Somalia geborene Hakeemshady Mohamed, in der Rolle als Amir Yusuf Al-Afghani. „Saif ist eine extreme Figur, ein Selbstmordattentäter, dessen Weste nicht explodierte und der deshalb als Heiliger angesehen wird,“ erklärt Wenders. Alexander Siddig spielt einen Arzt, der mit den Dschihadisten zusammenarbeitet, bzw. sie, die Attentäter und ihre Opfer, immer wieder zusammenflickt. Gleichzeitig ist Siddig aber auch ein Arzt, der seinen hippokratischen Eid geschworen hat – eine sehr zerrissene Figur also. Somalia sei ein vom Krieg verwüstetes Land, voller Armut, ohne ein Bildungssystem und Hakim habe diese Welt und ihren militanten Fundamentalismus am eigenen Leib erfahren, erläutert Wenders. „Sein Wissen war für uns alle sehr hilfreich, um uns in diese Situation einzufühlen“, erklärt Wenders. „Früher war diese Art der Recherche noch möglich,“ meint McAvoy. Heute wäre das von vorne herein schon viel zu gefährlich! Fast gleichzeitig mit Jacks Aktivitäten unter den Dschihadisten bewegt sich Danielle, „Danny“ Flinders, auf dem Ozean in Richtung ihres Zielortes. Sie sorgt sich, weil sie nichts von Jack hört. Immer wieder blickt sie bekümmert auf ihr Handy. Wie kann das angehen, wieso antwortet Jack nicht, fragt sie sich. Das ist schon ein Unikum in der heutigen Zeit, wo der digitale Kontakt so allgegenwärtig ist.
Die schöne, 28ig jährige Alicia Vikander spielt die intelligente Biomathematikerin Danny sehr überzeugend und charismatisch. Eine aufgeweckte junge Frau, die begeistert an ihrem Tiefseeprojekt arbeitet, um damit ihre Theorie über den Ursprung des Lebens auf unserem Planeten zu belegen. In einem gelben U-Boot taucht sie ab, so tief wie noch nie jemand vor ihr getaucht ist. Ein äußerst riskantes Unterfangen. Wenn irgendetwas an dem U-Boot kaputtgeht, bleibt die Forscherin in der Tiefe gefangen, abgeschnitten von der Welt, von Freunden, Familie und von Jack, aber darüber denkt Danielle in der Tiefe nicht wirklich nach. Wie Jack in Somalia mit seiner Mission beschäftigt ist, so ist die ambitionierte Forscherin begeistert von dem Leben, welches sie tief unten im Meer entdeckt.
Wenders hofft, dass der Film GRENZENLOS, der tief in unbekannte Welten eintaucht und dabei eine leidenschaftliche Liebesgeschichte zwischen zwei getriebenen Seelen erzählt, sowohl politisch als auch geografisch viele Denkanstöße liefern wird. „Ich hoffe, dass die Menschen eine etwas andere Haltung zu unserem Planeten und ihren eigenen Gewohnheiten haben werden, wenn sie an einem regnerischen Donnerstag in Bristol, Detroit oder sonst wo aus dem Kino kommen. Sie werden vielleicht verstehen, wie groß die Welt ist, wie vielfältig, aber auch wie zerbrechlich!“
Länge: 112 Minuten/
Regie: Wim Wenders
Drehbuch: Erin Dignam nach einem Roman von J.M. Ledgard
Kamera: Benoît Debie
Tags: Grenzenlos-Tiefe. Sehnsucht. Liebe. Wim Wenders