Mit „Viel Gutes erwartet uns“ schlägt die Berlinale am 8.2.2015 ihr genussreichstes Kapitel auf: das kulinarische Kino. Niels ist ein idealistischer Landwirt. Er wirtschaftet traditionell und bio-dynamisch. Seinen Tieren räumt er Freiraum für ihre natürlichen Bedürfnisse ein, wie es sonst in der Landwirtschaft eher unüblich ist, und er kuschelt mit ihnen. Zusammen mit seiner Frau Rita unterhält er den Thorshøjgaard – Hof im Norden von Kopenhagen. Beide lieben die Natur und behandeln Tiere und Boden mit großem Respekt. Diese Methode zahlt sich aus. Ihre Tiere, typische dänische rote Milchkühe sind strotzgesund, der Boden ist voller Regenwürmer und seine Produkte werden von seinen Kunden sehr geschätzt, z.B. von dem Nobelrestaurant NOMA in Kopenhagen. Allerdings sorgen seine Praktiken auch für Skepsis bei den Kollegen und die Kontrollbehörde droht, ihm die Lizenz zur Viehzucht zu entziehen… Doch Niels und Rita bleiben ihrem Glauben treu: „Biodynamische Landwirtschaft ist nicht aus der Vergangenheit sondern für die Zukunft…,“ sagt der etwas andere Farmer Niels aus Dänemark.
Er ist ein Visionär, wie die Initiatoren des Kulinarischen Kinos:
Als erstes A-Festival der Welt räumte die Berlinale dem Thema „Food“ schon vor 10 Jahren einen Platz in ihrem Programm ein und eröffnete das Kulinarische Kino. Das neue Format „Film, Food & Talk“ entstand. Das Essen bereiten Köche zu, die sich vom jeweiligen Film des Abends inspirieren lassen.
Alice Waters bedeutet Essen verknüpft mit Essen eine Lebensart, „a way of life“. Bei der Gründung ihres Restaurants Chez Panisse 1971 in Berkeley, Kalifornien, stand die Suche nach dem guten Geschmack im Mittelpunkt. Sie fand ihn bei den Bauern und Produzenten, die nach „Bio“-Prinzipien arbeiteten. Die Verteidigung der kleinen Erzeuger gegen die Macht der Nahrungsindustrie ist ein Kern der Slow-Food-Philosophie.
Auch die Berlinale setzt sich für die Stärkung der kleineren, unabhängigen Produktionen ein, da ergibt sich ein Zusammen-Treffen wie von selbst. „Endlich sollte eine Diskussion darüber aufkommen, dass Lebensmittel die wichtigsten Überlebensmittel sind“, schrieb Dieter Kosslick 2007. „Der Kampf um gutes, gesundes Essen ist so wichtig wie der Kampf für die Vielfalt des unabhängigen Films. Kultur und Agrikultur sind zwei Seiten der gleichen Münze.“
Das Kulinarische Kino entwickelte sich zu einer interdisziplinären Plattform. 2009 eröffnete FOOD, INC. das Programm im Friedrichstadt-Palast, des bis heute aktuellen Films über die dunklen Seiten der Lebensmittelindustrie. Tilda Swinton begeisterte mit Io Sono L’Amore | Ich bin die Liebe, Jean Reno mit Comme un chef und Nigel Slater war mit Toast zu Gast, und so geht es illustre weiter. Dieses Jahr zeigt das Festival besonders erstaunliche
Filme, wie Festins imaginaires. In KZs, in Gulags, in japanischen Kriegsgefangenenlagern, überall schrieben Gefangene. Der Film erzählt von fünf Rezeptsammlungen, die von Edith Peer in Ravensbrück, von der französischen Widerstandskämpferin Christiane Hingouet in Leipzig und von einer Gruppe französischer Männer im Konzentrationslager Flöha geschrieben wurden. Das „Rezeptbüchlein“, das Vera Bekzadianm im Gulag Potma schrieb, ist aus Stoff. Der Film versucht mithilfe von Wissenschaftlern die Bedeutung dieser imaginären Festessen zu ergründen. Sind es Träume, Testamente, Pläne für die Zukunft? Wodurch wurde das Weitergeben dieser Rezepte zu einem universalen Akt des Widerstands?
Der Film erzählt vom Winter 2013, als es landesweit Massenschlachtungen gab, um die Maul- und Klauenseuche einzudämmen. Die Filmemacherin Yun bekommt mit, dass hunderte von Schweinen auf einem nahegelegenen Bauernhof lebendig begraben werden. Daraufhin entschließt sie sich, das Leben eines Schweins genauer zu betrachten. Yun fährt in die Berge und trifft dort einen Schweinezüchter, der seine Tiere auf traditionelle Weise hält. Dort beobachtet sie den Alltag des Mutterschweins Ship-Soon und ihres Ferkels Don-Soo. Yun entwickelt eine Beziehung zu den entzückenden Schweinen. Es fällt ihr immer schwerer, Schweinekoteletts zu genießen. Sie steckt in einem Dilemma…
Chefs Table „Massimo Bottura“, der Film gewährt einen Blick in die Töpfe und Pfannen von sechs der zur Zeit weltberühmtesten Köche. Oder Cooking Up a Tribute, eines der weltbesten Restaurants bleibt fünf Wochen lang geschlossen um auf Reisen zu gehen. Das Team vom El Celler de Can Roca würdigt vier amerikanische Länder mit ihrer Neuinterpretation lokaler Küche.
Seit der Gründung des Kulinarischen Kinos hat das Thema „Essen und seine Herkunft“ an Bedeutung gewonnen. Die Nahrungsindustrie verschleiert den unverantwortlichen Umgang mit den Ressourcen. Dagegen formiert sich eine kulinarische Opposition aus Spitzenköchen, Food-Aktivisten und anderen denkenden Schleckermäulchen und Naturfreunden. Genuss und Verantwortung sind keine Widersprüche, lautet das Mantra des Kulinarischen Kinos. „Denn wer ohne Verstand genießt, handelt verantwortungslos, wer aber nicht versteht zu genießen, wird ungenießbar“, sagt Carlo Petrini.
Zur Eröffnung des Kulinarischen Kinos am 8. Februar 2015 werden die Food-Aktivisten und Slow-Food-Begründer Alice Waters und Carlo Petrini mit der Berlinale Kamera geehrt.
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