Aus ganz Deutschland kamen sie, sogar aus Bayern. Mit grünen Federn befiedert hielt artgerechtes München seinen Vogel hoch…
„Wir haben es satt“ von Germanwatch, der ABL, Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Wir haben es satt und meine Landwirtschaft:
Schneeregen und Temperaturen um den Nullpunkt hielten weder Landwirte noch Verbraucher davon ab zu protestieren: 130 Traktoren – so viele wie nie zuvor – und 46 000 Beine gingen auf die Strasse in Berlin um für eine Agrarwende zu demonstrieren. Es waren dennoch deutlich weniger als 2015. Eine Begründung dafür findet sich möglicherweise bei einigen Veganern, denen die Forderungen nicht scharf genug sind: „Es geht nicht darum, dass wir Tiere zu Lebensmitteln verarbeiten, sondern um unsere derzeitigen Methoden,“ so Veganzeitkritik.
Laut Polizei demonstierten 13.500, die Veranstalter zählten 10.000 Teilnehmer mehr, die vorm Bundeskanzleramt für eine bäuerliche und ökologischere Landwirtschaft mit Aussicht auf die Zukunft Flagge zeigten. Bauern, Imker, Tier- und Naturschützer, Aktive in der Entwicklungszusammenarbeit, Lebensmittelhandwerker und Köche demonstrierten für Bauernhöfe, die umwelt- und klimafreundlich wirtschaften, damit das Recht auf Nahrung weltweit sichern, starke Strukturen im ländlichen Raum erhalten, artgerechte Tierhaltung verwirklichen, gentechnikfrei arbeiten und deren Grundsatz fairer Handel ist.
„Angesichts der katastrophalen und strukturzerstörenden Erzeugerpreise für Milch und Schweinefleisch ermutigen dieser starke Rückhalt und die Wertschätzung der Gesellschaft, den Kampf für den Erhalt unserer Höfe energisch zu führen“, so Ottmar Ilchmann, Milchbauer aus Ostfriesland. „Die Agrarpolitik in Berlin und Brüssel ist verantwortlich für die Rahmenbedingungen, die zu Überproduktion und Erzeugerpreisen deutlich unter den Produktionskosten führen. Dabei zerstören Agrarexporte zu Dumpingpreisen für den Weltmarkt bäuerliche Strukturen und regionale Märkte für Bauern hier und in der ganzen Welt. Die Bundesregierung muss jetzt umsteuern, damit es sich für Bauern lohnt, gute Lebensmittel für den heimischen Markt zu produzieren.“
„Die Bauern stehen in der Mitte der Gesellschaft“, kommentierte Jochen Fritz, Landwirt und Sprecher der Demonstrations-Bündnisses „Wir haben es satt!“ den gemeinsamen Protest. „Die Menschen wollen, dass Bauern und nicht Konzerne ihr Essen erzeugen, sie wollen gesundes Essen, keine Gentechnik auf dem Acker, im Trog und auf dem Teller, sie wollen, dass Tiere auf der Weide grasen können, Schweine auf Stroh stehen und keine Schwänze oder Schnäbel abgeschnitten werden“, so Fritz weiter.
Auch Sarah Wiener, Köchin aus Berlin, forderte einen Umbau des Ernährungssystems: „Wir wollen den Wandel mit Fairness und Genuss! Gute, köstliche Lebensmittel bekommen wir nur, wenn wir achtsam mit unserer Umwelt, den Pflanzen und Tieren umgehen. Wenn wir verstehen, dass wir mit der Natur arbeiten müssen und nicht gegen sie, werden wir die Wertschätzung für das, was uns ernährt wieder erlangen. Davon profitieren die Bauern, die Böden und die Nutztiere.“
Zu den einzelnen Themen finden Sie hier Statements der Rednerinnen und Redner:
Zu den geplanten Freihandelsabkommen TTIP und CETA
Hubert Weiger, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND):
„Bäuerliche Betriebe und die Verbraucher sind die Verlierer der Freihandelsabkommen TTIP und CETA. Die Agrarindustrie will über TTIP und CETA Verbraucherschutzstandards senken. Hormonfleisch und Gen-Food ohne Kennzeichnung könnten dann auch in unseren Supermarktregalen landen. Das Gentechnikkapitel in CETA zeigt, dass die EU-Kommission beim Verbraucherschutz zu faulen Kompromissen bereit ist. Anstatt ihn zu schwächen muss die Bundesregierung endlich dafür sorgen, dass der Verbraucherschutz gestärkt wird“.
Zu Tierschutz in der Landwirtschaft
Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes: „Die Demo ‚Wir haben es satt‘ zeigt: Es gibt eine eklatante Lücke zwischen dem vollzogenen Wertewandel in der Mitte der Gesellschaft und dem Vollzug des Tierschutzgesetzes. Dafür sind der Bundesminister und die Bundesregierung verantwortlich. Wir dürfen nicht mehr zulassen, dass diese Bundesregierung im Tierschutz immer rückwärts denkt und damit glaubt, vorwärts zu kommen. Jeder Schritt von Bundesagrarminister Schmidt, gerade der freiwillige, ist anzuerkennen und zu loben, wenn damit ein Mehrwert für Tier und Umwelt verbunden ist. Aber das darf einen Gesetzgeber nicht dazu verlocken, seine Pflichten nicht wahrzunehmen.“
Zur Perspektive des globalen Südens zum Thema Milch
Kerstin Lanje, Agrarexpertin von Misereor: „In Burkina Faso unterbieten Milchexporte aus Europa den heimischen Milchpreis mittlerweile um über 60 Prozent. Diese Politik verursacht Armut und Hunger. Deswegen müssen wir die Exporte zu ‚Dumpingpreisen‘ in Länder des globalen Südens, die die Lebensgrundlage der Bauern vor Ort zerstören, sofort stoppen. Gemeinsam mit den Bäuerinnen und Bauern fordern wir politische Rahmenbedingungen zur Beendigung der Überproduktion und Exportorientierung bei Fleisch und Milch in Europa!“
Zum Thema Landwirtschaft und Gesellschaft
Chris Methmann, Agrarexperte von Campact: „Dass Bauern zusammen mit Verbrauchern demonstrieren, Tierschützer mit Tierhaltern, Veganer und Milchbauern zusammen auf die Straße gehen, zeigt: Die Bewegung für eine andere Landwirtschaft kommt aus allen Teilen der Gesellschaft. Zusammen werden wir die Agrarwende durchsetzen. Die sechste ‚Wir haben es satt‘-Demo zeigt endgültig: Wir sind gekommen, um zu bleiben!“
Zum Thema Ökolandbau
Christina Henatsch, Demeter-Bäuerin auf Gut Wulfsdorf: „Ein ‚Weiter-so‘ wie bisher zerstört unsere Lebensgrundlagen. Wir müssen umsteuern und unsere Landwirtschaft fit für die Zukunft machen. Millionen Bio-Bauern überall auf der Welt zeigen heute schon wie man gesunde Lebensmittel herstellt und dabei Klima und Trinkwasser schützt, den Boden fruchtbar hält, Tiere wesensgemäß behandelt und Hunger auf dem Land bekämpft.“
Zum Thema Ernährungssouveränität
Julia BarTal, 15th Garden: „Der 16. Januar wurde auch zum internationalen Kampagnen-Tag gegen die Belagerung von ganzen Städten und Gemeinden in Syrien ausgerufen. Wer Ernährungssouveränität fordert, kann nicht wegsehen, wenn Menschen von ihrem eigenen Regime in das politische Aufgeben gehungert werden. Dieser seit Jahren andauernden Praktik sind hunderttausende Menschen in ganz Syrien ausgesetzt – mit dem Wissen und dem Wegsehen der internationalen Gemeinschaft. Wir wehren uns gegen das Erschließen neuer Märkte für die Interessen von Monsanto, Bayer und Co. unter dem Deckmantel der humanitären und entwicklungspolitischen Hilfe. Menschen in Kriegen zu unterstützen kann und darf nicht für die Interessen von großen Agrarkonzernen geschehen.“
PM von „Wir haben es satt“:
Am 16. Januar 2016 werden zum sechsten Mal tausende Menschen in Berlin für eine bäuerliche und ökologischere Landwirtschaft demonstrieren. Die „Wir haben Agrarindustrie satt!“-Demonstration wirft der Bundesregierung vor, die Gewinne einer exportorientierten Agrar- und Ernährungsindustrie über die Interessen von Bäuerinnen und Bauern, dem Lebensmittelhandwerk, Umwelt- und Tierschutz sowie einer solidarischen Entwicklungspolitik zu stellen.
„Die Landwirtschaft steht am Scheideweg: Wird unser Essen zukünftig noch von Bäuerinnen und Bauern für den Bedarf einer Region erzeugt oder von Konzernen, die für den Weltmarkt produzieren? Ist die Agrarindustrie mit ihren Dumping-Exporten weiter mitverantwortlich dafür, dass Millionen Menschen weltweit hungern oder gestalten wir die Ernährungswirtschaft endlich zukunftsfähig, so dass sie niemanden zur Flucht zwingt? Diese Fragen bewegen immer mehr Menschen“, so Jochen Fritz, Sprecher der „Wir haben es satt“-Demonstration und Landwirt im Nebenerwerb. „Billig-Exporte zerstören bäuerliche Höfe weltweit. Seit 1975 sank die Zahl der Bauernhöfe allein in Deutschland von einer Million auf 285.000 Betriebe. Während der Agrarexport in den Jahren 2007 bis 2010 boomte, musste hierzulande jeder fünfte Bauernhof die Tore schließen – so viele wie fast in keinem anderen Land der EU. Der Grund: Weltmarktpreise decken die Kosten der Bauernhöfe nicht“, erläutert Fritz.
Die anhaltenden Tiefstpreise von unter 28 Cent pro Liter Milch und 1,25 Euro pro Kilogramm Schweinefleisch sicherten zwar Weltmarktanteile für Molkereien und Schlachtkonzerne, drängten aber tausende Höfe zum Aufgeben. Die geplanten Freihandelsabkommen TTIP und CETA würden den Druck auf die bäuerliche Landwirtschaft zusätzlich verschärfen. Um das Höfesterben zu stoppen, bedürfe es daher ein Umsteuern der Bundesregierung in der Agrarpolitik: mit einer Orientierung hin zu einer gesellschaftlich gewünschten Qualitätserzeugung statt ruinösen Billigexporten, mit effektivem Tierschutz, konsequenter Gentechnikfreiheit und wirksamen Umweltstandards.
Fritz weiter: „Die Tierhaltung wandert hierzulande in die Hände von Agrarindustriellen, es entstehen Tierfabriken mit 60.000 Schweinen, 2.000 Kühen oder 1 Million Hühnern. Mit überaus laschen Umweltgesetzen sorgt die Bundesregierung außerdem dafür, dass Gülletransporte aus Nachbarländern ohne verbindliche Kontrollen in Deutschland landen. Es gibt keine gesellschaftliche Akzeptanz für die staatliche Förderung von immer weiteren Tierfabriken mit hohem Antibiotikaeinsatz. Wir protestieren gegen Millionen an direkten und versteckten Subventionen für Fleischkonzerne und deren Exportfixierung. Die Bundesregierung hat die Gesellschaft hinter sich, wenn sie Steuergelder konsequent für einen Umbau der Tierhaltung umschichten würde, so wie der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz der Bundesregierung kürzlich empfohlen hat. Auch der Einsatz heimischer Futtermittel und eine handwerkliche Verarbeitung werden zunehmend von der Gesellschaft gewünscht.“
Die „Wir haben Agrarindustrie satt!“-Demonstration wird von tausenden Bäuerinnen und Bauern getragen, viele von ihnen fahren mit ihren Traktoren zur Demonstration nach Berlin. Aufgerufen zur Demonstration hat ein Bündnis aus über 100 Organisationen, die sich für eine faire und verantwortliche Landwirtschaft- und Lebensmittelpolitik einsetzen.
Einladung: Pressekonferenz zur “Wir haben Agrarindustrie satt!“-Demonstration, 12. Januar 2016, 10 Uhr, Bundespresseamt (Raum 4) in der Dorotheenstraße 84, 10117 Berlin, mit anschließender Foto-Aktion „Agrarindustrie ist Mist“ um 11.30 Uhr vor dem Deutschen Bundestag.
Foto: „DieAusloeser.net, Berlin“
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