
Früher Lodenmäntel, jetzt auch Djellabas* – Immer wenn die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft sich Ende des 19. Jahrhunderts in Berlin zu ihrer Wintertagung traf, verwandelte sie das Stadtbild auf eigentümliche Weise in ein bewegliches Grün. Männer in Lodenmänteln bewegten eine ganze Woche lang das Treiben in der Hauptstadt. Parallel dazu boten Handwerk und Industrie auf der Straße berufsspezifische Artikel und Verbrauchsgüter feil, bis der Landwirt Hans-Jürgen von Hake, seinerzeit Mitarbeiter im Berliner Fremdenverkehrsamt, 1926 beides zu einer landwirtschaftlichen Ausstellung verknüpfte. Die „Grüne Woche“ war geboren – vermutlich ein ‚Bonmot’ der Journalisten.
Auf 7.000 Quadratmetern in einer Funk- und einer Autohalle, zählte sie schon im Eröffnungsjahr über 50.000 Besucher. Die deutsche Reichshauptstadt teilte ihren Grund und Boden damals noch mit den ‚etwas anderen Berlinern’: 45.000 Pferden, 25.000 Schweinen, 21.000 Milchkühen und mehr als eine halbe Million Stück Geflügel. Ein Fünftel des Stadtgebietes belegten Landwirtschaft und Gartenbau. *nordafrikanische Gewänder
Das „grüne Ding“ mauserte sich schnell zu einer beachtlichen Schau mit Präsentationen von ganz erstaunlichen Errungenschaften aus Wissenschaft und Technik. So sorgte die riesige Eierfrischhaltemaschine bei der 5. „Grünen Woche“ 1930 für erhebliches Aufsehen. 5.000 Eier drehte sie im Kreise; sie sollten auf diese Weise über ein Jahr auf „natürlichem Wege“ frisch gehalten werden.
Zur 10. Grünen Woche präsentierte die Ausstellung erstmals ihr Markenzeichen, die 1935 von Wilhelm Hölter entworfenen gelben Ähren auf grünem Grund, das künftige Symbol der Grünen Woche. Drei Jahre später fiel die Ausstellung aus, wegen der in Deutschland grassierenden Maul- und Klauenseuche. 1939 öffnete die „Grüne Woche“ vorläufig letztmals ihre Tore, schon damals hoch aktuell, mit der „Ernährungsuhr“, die auf Kalorienersparnis programmiert war und automatisch Tipps für gesunde Mahlzeiten gab: wie zum Beispiel den Verzicht auf geräucherte Pökelrippe zugunsten einer leckerer Gemüseplatte.
Schinken aus Pappe Nach einer Kriegspause von einigen Jahren erweckte der verwegene Zentralverband der Laubenpiper 1948 mutig die „Grüne Woche“ wieder zum Leben. 59 Aussteller präsentierten allen Widrigkeiten zum Trotz ihre Exponate im Spätsommer dem Berliner Publikum. Die drei Westsektoren Berlins erhielten nämlich nur von 23 bis 1 Uhr sowie von 9 bis 11 Uhr Strom und litten unter der sowjetischen Blockade aller Land- und Wasserwege. Die Akteure der Luftbrücke halfen, so brachten am Eröffnungstag der „Grünen Woche“ innerhalb von 24 Stunden 250 britische und 357 amerikanische Flugzeuge Versorgungsgüter aller Art in den Westteil der Stadt. Obst und Gemüse, eine 3,3 Kilogramm schwere Kastengurke waren viel bestaunte Attraktionen, die in Zeiten des Hungers und Mangels für viele Berliner unerreichbare Schätze darstellten. Die Kreuzberger Zuchtsau „Dora“ mit ihren Ferkelchen ließ bei den Besuchern Träume von Schinken und Speckseiten aufkommen, doch was tatsächlich an Schinken und Würsten an einigen Ständen hing, war leider nur aus Pappe.
Internationales Gemüse und die erste Biogasanlage Die Internationalität der Grünen Woche nahm ihren Lauf, als 1951 ein weit vorausschauender Aussteller aus Holland appetitliche Gemüsepyramiden dem staunenden Publikum offerierte. Sie lösten auch bei Bundeskanzler Konrad Adenauer Bewunderung aus. Danach nahm die Beteiligung ausländischer Aussteller kontinuierlich zu. Bereits 1953 wurde die erste Biogasanlage „Darmstadt“ der Fachwelt präsentiert. Der Hersteller warb mit einer täglichen Biogasproduktion von zehn Kubikmetern, „die reicht aus, um im Haus die Brennstellen zum Kochen, zur Heißwasseraufbereitung und zum Kartoffeldämpfen zu versorgen.“
Bis 1961 war die Grüne Woche besonders für die Landwirte in der ehemaligen DDR von besonderer Attraktivität. Zwischen 30 und 50 Prozent der Besucher fanden – trotz erheblicher Behinderungen an den Sektorengrenzen – immer wieder den Weg zum Berliner Funkturm. 1954 drängten sich erstmals mehr als eine halbe Million Besucher durch die inzwischen neun Hallen mit einer Gesamtfläche von 30.000 Quadratmetern.
Internationalität in Zeiten der Berliner Mauer Mauern is nich, fanden die Berliner schon damals und feierten ihre erste Grüne Woche nach dem Mauerbau (13. August 1961) nun erst recht. Ein Jahr später avancierte sie zur „Internationalen Grüne Woche Berlin’62“ und stand unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Heinrich Lübke. Von den 669 Ausstellern stammte fast die Hälfte aus dem Ausland. Insgesamt rund 50 Länder, die meisten aus Westeuropa, sowie die USA, Kanada, Israel, Marokko und Libanon zogen über 438.000 Besucher an. Am Frankreich-Stand wurde sogar der Nachschub knapp als 54.000 Austern vernascht wurden.
Drei Säulen: Ernährungswirtschaft, Landwirtschaft, Gartenbau Sonderschauen zu aktuellen Themen, Länder-Gemeinschaftsstände sowie Leistungsschauen einzelner Regionen fanden großen Anklang. Wachsendes Interesse erfuhr das fachliche Begleitprogramm mit bis zu 150 Fachveranstaltungen. Der internationale Agrarfilmwettbewerb zählte zum Programm in dieser Zeit. 1971 wurde das Konzept durch Lehr- und Sonderschauen wie beispielsweise zu EDV und Fischerei, zu Wald und Landschaft erweitert. Und die ästhetische Seite von Essen und Trinken fand mehr und mehr Beachtung. Weitere Bereicherung erfuhr die Internationale Grüne Woche Berlin 1981 mit dem ersten Internationalen Forum Agrarpolitik, 1982 mit den ersten „Frische Foren“ für empfindliche Agrarprodukte, 1984 mit der ersten MultiServa für Gemeinschaftsverpflegungen und 1986 mit der ersten „Bundesschau Fleischrinder“, später gefolgt von „Schafen“ und „Kaltblutpferden“.
Neue Blütezeit nach der Wende Im Jahr 1990 begann für die IGW Berlin eine neue Blütezeit. Nach der Vereinigung Deutschlands stand sie wieder allen Besuchern aus dem natürlichen Umland sowie aus den benachbarten Staaten Mittel- und Osteuropas offen. War zunächst aus Zeitgründen manches improvisiert, so demonstrierten ab 1991 auch äußerlich sichtbar die fünf neuen zusammen mit den alten Bundesländern in der ersten gesamtdeutschen Gemeinschaftsschau der Centralen Marketinggesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft (CMA) und der Bundesländer die Leistungsfähigkeit der Ernährungswirtschaft.
Neues Millennium mit Zukunftsthemen Mit dem abgeschlossenen Erweiterungsbau des Berliner Messegeländes auf 160.000 Quadratmeter im Jahr 1999 konnte der landwirtschaftliche Bereich der Grünen Woche um die Segmente „Tierzucht“ und „Nachwachsende Rohstoffe“ erweitert werden. Die bisherige Länderhalle Deutschland (Halle 20) wurde durch sieben aufeinander folgende Messehallen aufgewertet. Mit dem neuen Millennium wurde die Grüne Woche konzeptionell durch zukunftsorientierte Themen wie „Grünes Geld“ und „Erneuerbare Energien“ ergänzt. Insgesamt 14 Bundesländer stellten Nahrungs- und Genussmittel aus den jeweiligen Regionen Deutschlands vor.
Grüne Woche im Zeichen der erweiterten EU Mit der Internationalen Grünen Woche 2005 – der ersten Veranstaltung nach der EU-Osterweiterung (1. Mai 2004) zum größten Binnenmarkt der westlichen Welt – wurde Berlin mehr denn je zum Treffpunkt für Politiker und Experten aus den Bereichen Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Bis 2007 wuchs die EU auf 27 Mitgliedsstaaten. Welche Auswirkungen die Öffnung der innerdeutschen und europäischen Grenzen seit 1989 für die Grüne Woche hatte, zeigt die Tatsache, dass mittlerweile neben den traditionellen Beteiligungen aus dem westlichen Europa rund ein Drittel der ausstellenden Nationen aus Mittel- und Osteuropa stammt.
Flirt mit Fremden Tschechien in 2005 war erstes offizielles Partnerland bei der Grünen Woche. Danach folgte Russland 2006 mit einer beeindruckenden Angebotsvielfalt von Spezialitäten von St. Petersburg bis Sibirien. 2007 kam die EU dazu, als Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso die Grüne Woche gemeinsam eröffneten. Darauf folgten die Eidgenossen unter dem Motto „Grüezi Berlin! Schweiz. Natürlich.“ Die Niederlande boten „Qualität von nebenan“ und so ging es munter weiter mit, die IGW partnerte sich fröhlich durch die EU.
Auf dem Weg zum Weltagrargipfel Um der globalen Erörterung der in Berlin behandelten Agrarfragen gerecht zu werden und gleichzeitig die hochrangige Besetzung mit Spitzenvertretern aus der gesamten Agrarpolitik und -wirtschaft zu würdigen, löste auf der Grünen Woche 2008 die Internationalen Agrarministerkonferenz das bisherige Ost/West-Agrarforum ab. Rund 50 Agrarministerinnen und -minister und damit doppelt so viele wie im Vorjahr waren der Einladung von Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner gefolgt, um auf dem Berliner Agrarministergipfel 2010 den Startschuss für eine internationale Klimaschutz-Initiative zu setzen. 2011 lautete das Thema „Handel und Sicherung der Welternährung: Global – Regional – Lokal“. 2012 griff das GFFA die zentrale Rolle des Agrarsektors für die Weltgemeinschaft mit dem Thema „Ernährungssicherung durch nachhaltiges Wachstum – Landwirtschaftliche Nutzung knapper Ressourcen“ auf. Am 4. Berliner Agrarministergipfel nahmen Minister aus rund 70 Ländern teil. Beim GFFA 2013 zum Thema „Verantwortliche Investitionen in Agrar- und Ernährungswirtschaft – Schlüsselfaktor für Ernährungssicherung und ländliche Entwicklung“ wurden Strategien für sinnvolle Investitionen diskutiert. 2014 lautete das Thema des 6. GFFA „Landwirtschaft stärken – Krisen meistern – Ernährung sichern“. 2015 setzte das 7. GFFA die Frage „Wachsende Nachfrage nach Nahrung, Rohstoffen und Energie: Chancen für die Landwirtschaft, Herausforderungen für die Ernährungssicherung?“ auf die Agenda.
Marokko, erstes außereuropäisches Partnerland der IGW Die Internationale Grüne Woche Berlin 2016 findet vom 15. bis 24. Januar zum 81. Mal in ihrer 90-jährigen Geschichte statt. Über 1.700 Aussteller aus rund 70 Ländern zeigen eine Leistungsschau aus allen Bereichen der Landwirtschaft, Ernährungswirtschaft und des Gartenbaus. Den authentischen Geschmack Marokkos zu probieren, mit dieser Aufforderung wendet sich das Partnerland an alle Besucher. Das Königreich im Nordwesten Afrikas ist das erste außereuropäische Partnerland der Grünen Woche.
Das 8. Global Forum for Food and Agriculture (GFFA) bringt unter dem Leitthema „Wie ernähren wir die Städte? – Landwirtschaft und ländliche Räume in Zeiten von Urbanisierung“ internationale Schlüsselakteure aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zusammen. Vom 14. bis 16. Januar 2016 wird die weltweit bedeutendste agrarpolitische Konferenz parallel zur Internationalen Grünen Woche Berlin vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) ausgerichtet.
Die internationale Grüne Woche IGW 15.-24.1.2016 Veranstaltet wird die Grüne Woche von der Messe Berlin GmbH; dieses Jahr werden 400000 Besucher erwartet.
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