Lieber einmal pro Woche richtig gut genießen, als zu oft und mit schlechtem Gewissen, das ist Sebastian Baiers Devise. Der Fischveredler, vor Hamburgs Toren, experimentiert mit ‚eingefleischten‘ Reifetechniken bis zum fünften Geschmack und achtet dabei penibel auf Qualität aus nachhaltigem Fang
Zielsicher und mit versiertem Blick sticht Sebastian Baier akribisch genau, mittig in den Nacken eines etwa 80 cm langen Fisches und schneidet ihn am Rücken entlang der Gräte geschickt auf. Die Anspannung lässt die auf seinen Arm tätowierte lachende Meerjungfrau keck zittern: „Da merkt man schon beim Einstich, dass der sechs Wochen gereift ist. Die Haut ist schon ganz schön fest und das Fleisch auch,“ lächelt der Fischveredler zufrieden. Das Fischfleisch strahlt rosa orange. Es sieht matt und lecker aus und kommt von einem neuneinhalb Kilo schweren, fünf bis sieben Jahre alter Wildlachs. Solche großen Fische sind sonst eher selten, nicht so bei Baier. Er hat ein Faible für große Fische. „Corona hat auch bei den Fischauktionen zugeschlagen, die Häuser sind ziemlich leergefegt,“ sagt Baier. Die ganz großen Fische, die er so gerne nach herkömmlichen Methoden aber mit viel Liebe dryaged und zu radikal neuen Ideen verarbeitet, gibt es grade nicht. Die Auktionshäuser in Frankreich und Holland sind geschlossen. Dennoch hat er ganz gut zu tun, mit der Frischepost, einer Lieferung an Privathaushalte, das sei zwar Popelkram, meint er, aber durch Corona erzielt er damit immerhin den zehnfachen Umsatz. Dazu der Austausch mit kleineren, angesagten Restaurants und das tägliche Geschäft. Der Shootingstar der Hamburger Fisch-Gastro-Szene genießt zunehmendes Vertrauen unter Fisch-Gourmets.
Meistens steht er ab sieben Uhr in seinem Geschäft und dekoriert sein aktuelles Sortiment in die Auslage. Silbrig, mit dunkelgrauen Punkten, schimmert die Haut des gerade zubereiteten Fisches jetzt hinter dem von der Sonne beschienenen Glastresen. Neben einigen fein säuberlich dekorierten hausgemachten Fischsalaten, ein paar Stücken Stremellachs, Jakobsmuscheln, geräucherte Saiblinge, Lachs, liegen zwei graue Knurrhähne, ein paar andere ganze Fische und natürlich einige selbst kreierte Leckereien. Zum Beispiel Pastrami, so bezeichnet man eigentlich gewürztes und geräuchertes Fleisch, Baier macht sie aus Fisch. Das Beste, Fische ausnehmen und vor den Kunden zubereiten hebt er sich für später auf. Es ist immer auch ein bisschen Show. Er will damit den Genuss erhöhen und ein Bewusstsein schaffen für den Wert der hübschen und zum Teil sehr seltenen Tiere.
Der knapp zwei Meter große Norddeutsche ist leidenschaftlicher Fischhändler in dritter Generation. Angefangen hatte die Familie in den sechziger Jahren mit einem Lieferservice von Rollmöpsen und Bratheringen an Kioske. Bald darauf eröffneten sie in Geesthacht ein eigenes Fischgeschäft, das bis in die siebziger Jahre lief wie geschnitten Brot. Als die ersten Supermärkte eröffneten brach der Gewinn rapide ein und sie mussten sich wieder etwas Neues einfallen lassen. Es boten sich Wochenmärkte an, für den schnellen Einkauf außer Haus. In die familiäre Geschäftigkeit wuchs Baier schon als Knirps hinein. Als fünf Jähriger verkaufte er Rollmöpse, dann Milchprodukte und schließlich jedes Wochenende Fisch auf dem Marktstand, um sein Taschengeld aufzubessern. Nach dem Abi machte er einen kurzen Abstecher in ein BWL Studium, kehrte aber noch vor dem Abschluss, nach einer Krankheit seines Vaters, begeistert wieder ins Geschäft zurück. Einen Tag nach der Geburt seiner ersten Tochter, vor zwei Jahren, eröffnete Baier diese Fischfeinkost Manufaktur im Sylter Stil in Börnsen, mit Liebe zum Detail. Sein Lieblingsfisch ist der Saint-Pierre: „Dem Fisch fiel vor 2000 Jahren im See Genezareth eine Münze ins Maul. Petrus packte zu und der Fingerabdruck zeigt jetzt unser Fischlogo“. Das Bistro ist ausgestattet mit modernster Kühltechnik und inzwischen schon bekannt für ausgefallene Leckerbissen, die je nach Saison variieren.
Hauptsache frisch! Dafür startet er jeden Tag meistens schon um ein Uhr nachts, wenn er sich aufmacht zum Einkauf in Hamburg. Baier ist 32 Jahre alt, Anfangs arbeitete er rund um die Uhr, als die zweite Tochter geboren wurde schraubte er sein Pensum etwas runter. Aber er ist und bleibt ein Arbeitstier und so macht er erstmal eine Ehe-Pause in der Hoffnung es renke sich schon wieder ein.
Der St. Pauli Fischmarkt ist wegen Corona geschlossen, aber die Fischhändler um die Ecke, an der großen Elbstraße sind weiter aktiv. Beim Kutterfisch und bei den anderen Händlern hinter der Fischauktionshalle, werden ihm die meisten Wünsche erfüllt, zurzeit etwas überschaubarer. Der Fisch-Fan achtet sorgfältig darauf möglichst keine Ware aus der Schleppnetz- oder Dynamitfischerei zu handeln. Deswegen bestellt er sein Sortiment meistens einen Tag vorher direkt online bei den Auktionshäusern. Die Lieferung kommt dann per LKW aus Dänemark oder aus den Niederlanden zu seinen Händlern in die Hansestadt. Die entfernteren Bestellungen kommen per Luftfracht, nur das ist ja im Moment nicht möglich. Außerdem bevorzugt Baier Saisonware, das heißt er achtet darauf die Fische möglichst nicht zu ihren Laichzeiten zu handeln, damit so die Nachzucht gesichert bleibt. Das wirkt sich auch auf die Qualität aus, die Fische sind etwas größer und fester und es ist keine industrielle Tiefkühlware. „Die Schleppnetze pflügen in bestimmten Tiefen den ganzen Meeresboden kaputt. Außerdem holen sie die Fische aus der Tiefe, wo sie meist grade zum laichen sind.“ Große Fangnetze, die den Untergrund pflügen sind ein rotes Tuch für Baier.
Doch es gibt Unterschiede. Die industrielle Hochseefischerei ist meist mehrere Monate im Stück auf See, verarbeitet den Fang in den ersten sechs Stunden direkt an Bord und friert die Ware dann ein. „Anders bei den Frischfischfängern, kleinere europäische Fischflotten, sie ziehen den Fang hoch und lagern ihn schon mal bis zu 14 Tage auf der Fangfahrt bei etwa 0 bis max +2°C auf Eis. „Den würde ich auch nicht so gerne essen, weil ich lieber frischen Fisch esse,“ sagt Kraus. Das trifft besonders Baiers Lieblingsbeispiel den Rotbarsch, der vor Island gefischt wird und überhaupt noch nicht geschlechtsreif ist oder grade laicht: „Wenn der aus 4-800 m Tiefe hochgezogen wird, riecht er schlimmer als Pipi,“ erklärt Baier. Im Prinzip sei er dann ungenießbar, findet er.
Aber die Kunden wandern ab, wenn sie nicht ganzjährig Rotbarsch kriegen das merkt er besonders auf den Wochenmärkten. Die kläre er dann auf, dass er den von Januar bis Juni eben nicht anböte. Frischen Spargel gäbe es ja auch nicht ganzjährig. Inzwischen ist es etwa sechs Uhr und seine Marktstände im Südosten Hamburgs warten schon auf die frische Ware von der großen Elbstraße. Die Leute, die auf Qualität gesetzt haben, und Baiers Gründe verstanden haben sind alle wiedergekommen. „Der Rotbarsch ist ein langsam wachsender, sensibler Fisch, einer der wenig lebend gebärenden. Zieht man ihn aus der Tiefsee hoch, dehnt sich durch den Druck seine Schwimmblase aus und drückt die inneren Organe und die Fischlarven nach außen, wodurch der Fisch ziemlich unschön kaputt geht,“ bestätigt Gerd Kraus, Fischereibiologe beim Thünen Institut das Horrorszenario um den bekannten Fisch. Dem Kabeljau geht es ähnlich, auch er hat eine Schwimmblase.
Baier unterstützt überwiegend die Küstenfischer, die noch mit Fischkuttern unterwegs sind und den Fisch schnell nach HH bringen, Langleinen oder kleinere Netze mit großen Maschen verwenden. Damit die Bestände nicht weiter schrumpfen, kauft Baier Fische ein, die gerade keine Laichzeit haben, keine Tiere aus industriellen Zuchtanlagen. Man freut sich bei ihm eher auf Süßwasserfische, wie die Saiblinge in der Auslage, die aus einem Gebirgswasser Teich im Allgäu kommen. Es ärgert ihn, dass die meisten Leute heute gar nicht mehr wissen wo der Fisch herkommt. „Seezunge im Restaurant für 20 € ist Unsinn, die echte Seezunge kostet schon im Einkauf um die 90 € pro Kilo,“ ereifert er sich. Die Nordsee-Seezunge sei sehr fein im Fleisch und etwas fester als die deutlich günstigere Tropische Seezunge, die meist vor der Küste Afrikas gefangen wird. Das ist für die meisten Verbraucher schwer zu unterscheiden. „Viel Fisch in Restaurants wird falsch deklariert,“ bestätigt Kraus vom Thünen Institut. Bei Feinkost-Baier sieht der Kunde den ganzen Fisch und der Hausherr erklärt seinen Kunden sehr gerne und mit Geduld was genau er ihnen vorsetzt. Da gibt es keine Schummelei. Das ist Qualitätsware. Baier möchte Verbraucher so auf eine neue Konsumspur ‚eingrooven‘. Sie sollen lieber einmal pro Woche richtig gut essen als zu oft mittelmäßig bis schlecht.
Als Fischhändler sollte man Alternativen zur Supermarkt Ware anbieten, findet Baier. „Ich beziehe nur Fische aus Europa, Ost- und Nordsee, Nordatlantik und Mittelmeer und natürlich aus europäischen Binnengewässern.“ Bei den großen Fangflotten kauft er nicht. Obwohl es auch für Fische eine Art Tierschutzlabel gibt, das MSC* verspricht eine nachhaltige Befischung des Bestandes mit geringen Auswirkungen auf die Lebensräume und prangt auf vielen Fisch-Produkten in den Regalen. Das Label wird von Greenpeace Experten Thilo Maack kritisch gesehen und Baier spricht seine Zweifel deutlich aus: „Ich glaube, das dient nur zur Gewissensberuhigung der Konsumenten, ich traue dem aber überhaupt nicht und verlasse mich lieber auf unsere eigenen, strengeren Standards!“, nickt und nimmt lächelnd eine hübsche große Jakobsmuschel aus seiner Vitrine. Sie sieht aus wie die Muscheln die man gerne auf Waschtischen als Seifenschale nutzt. „Köstlich,“ meint er. „Das ist eine handgetauchte Jakobsmuschel aus Norwegen, diese Hand verlesenen Edelmuscheln kosten allerdings schon mal 8-10 € pro Stück, also weit mehr als die Exemplare, die von irgendwelchen Fischfarmen im Pazifik kommen. Sie schmecken aber auch anders, frisch und nussig.
*MSC Marine Stewardship Council, das blaue Label steht für eine wissenschaftlich basierte Reglementierung für nachhaltige Fischerei
Punkt 8 Uhr die Auslage ist jetzt ansehnlich bestückt und Baier zeigt seine wahren Schätze. Seine Spezialität sind die 60-80 Kilo schweren Brocken, wie Bernsteinmakrele, Zackenbarsch, weißer Heilbutt, Schwertfisch oder Mondfisch. Die seien dann schon über zehn Jahre alt. Baier bestellt sie meist frisch bei seinem chinesischen Spezialitätenhändler in Hamburg.
„So ein Kaventsmann frisch aus dem Meer schmecke erstmal wässrig und ziemlich langweilig. „Er riecht muffig, ein bisschen wie nach altem Ei und schmeckt auch so. Das geht erst wieder weg, wenn er etwas gereift ist, also lasse ich ihn erstmal 2-3 Tage in der Kiste liegen,“ erklärt Baier. Baier lässt diese Fische nun sortenabhängig 2-6 Wochen bei +1 Grad in seinem Kühlraum abhängen. Vorher lässt er den Fisch ausbluten und zückt dann ein altes Dentisten Besteck für die Feinarbeiten. Damit seziert er den Fisch nach allen Regeln ‚fischärztlicher‘ Kunst. Erst räumt er die Innereien raus, entfernt die Kiemen und den Schleim vom Fisch. Bevorzugt benutzt er dazu eine mittelharte Zahnbürste, um so auch die letzten Blutreste zu entfernen. So ausgeräumt hängt er den ganzen Fisch in seinen Kühlraum. Ab jetzt ähnelt das Verfahren dem der Fleischreifung, auch wenn ein Rind wesentlich länger abhängen kann als ein Fisch. „Ich warte die Totenstarre ab und dann beginnt der Zerfall-Prozeß,“ erklärt er seine Methode grob.
„Das Tier muss sehr frisch sein also gut gefangen. Wenn er stundenlang im Schleppnetz gezogen wird, steigt aufgrund des Stresses der Histamin Gehalt im Fleisch,“ sagt Sebastian Baier. Dann funktioniere es nicht. „Nach etwa 21 Tagen ist der Fisch komplett geruchlos und zartbuttrig, hat eine tolle Konsistenz und bekommt einen besonderen Charakter.“ Da das in Deutschland noch niemand macht, habe er das mikrobiologisch testen lassen. Ergebnis: absolut unbedenklich!
Die Gabelmakrele hat etwas mehr Blutfarbstoff, Hämoglobin, also noch etwas mehr Fleischcharakter als die Bernsteinmakrele. Sie sieht auch schon fast aus wie ein Schinken, ziemlich dunkelrot. „Die lasse ich drei Wochen abhängen, dann zersetzt sich das Eiweiß und es entstehe dieses besondere Aroma. Besonders gut schmeckt es, wenn er noch mit Fenchel und ein paar anderen Kräutern eingelegt wird, das wird dann wie ein Serrano Schinken“, schwärmt der Fischveredler. Baier legt den Fisch, je nach Größe, bis zu 10 Wochen in eine Beize. Zusammen mit seinen Köchen, kreiert er immer wieder neue Geschmackserlebnisse.
Ge-dry-ageter Edelfisch aus Baiers Händen verspricht die fünfte Geschmacksrichtung, ganz anders als sauer, süß, salzig oder bitter, umami eben – ein Hochgenuss, so nennen es die Japaner.
Der extra dafür eingerichtete Kühlraum bietet die entsprechenden Vorrausetzungen: „Fisch luftgetrocknet, also dryaging, funktioniert prima, aber nicht im Dry-Ager-Schrank. Fisch hat ja eine andere Struktur als Fleisch, nicht so viel Wasser. So ein Schrank ist zu trocken,“ erzählt Baier. Einen Dry-Aging Schrank im Verkaufsraum hat er aber trotzdem, ein bisschen zur Show. Eine gelblich schimmernde Schwanzflosse von der Bernsteinmakrele glänzt darin.
Durch das Abhängen verliert der Fisch, je nach Dauer 5-10 % seines Wasseranteils. Die Struktur des Fleisches ändere sich. Einen Fisch kontrolliert reifen zu lassen, gehe theoretisch mit jedem Fisch. Je fetter er ist, desto länger könne er abhängen, denn das Fett konserviere und gebe auch hier den Geschmack. Schon nach kurzer Zeit ist er besser zum Braten, weil er konsistenter ist. Der ganze Fisch ist dann nicht mehr so glasig und eignet sich hervorragend zum Grillen. Er riecht auch nicht. Aus den Innereien machen wir Seacuttery, zum Beispiel aus Schwimmblasen Chips in der Fritteuse, als kleine Beilagen zum weg naschen. Gerichte, wie Thunfischbacken auf Polenta und Backfisch. Die locken auch Menschen zu ihm, die sonst im Supermarkt gegenüber tiefgefrorenem Fisch einkaufen.
Inzwischen sind zwei mutige Kunden in den Laden gekommen. Wegen Corona ist das Bistro geschlossen, aber der Verkauf am Tresen mit Abstand läuft weiter. Das Paar weiß schon genau was es will, probiert aber auch gerne noch die grade aufgeschnittenen Leckereien von Baier der Ihnen eine Kostprobe seiner Leckerbissen offeriert: Pastrami, Bernsteinmakrele, Gabelmakrele und Mondfisch oder auch Gotteslachs. Die beiden sind begeistert und lassen sich die Geschmäcker von Sternanis bis Ingwer und Fenchel genüsslich auf der Zunge zergehen. „Die Bernsteinmakrele erinnert tatsächlich ein wenig an Serrano Schinken!“
Tja, Fisch-Umami!
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