Klein und sehr fein, genau so möchte sie ihre Herde Galloways halten. Judith Reinhard ist überzeugt von der artgerechten und naturnahen Aufzucht ihrer Rinder. Sie füttert in mageren Zeiten etwas Heu und Stroh hinzu, ansonsten aber zupfen sich die reinrassigen Südschotten ihr Futter selber. Sie sind absolut autark. Tag und Nacht, Sommer wie Winter, stehen ihre 32 Tiere auf den Wiesen vor ihrem Haus. Aus ihrem Wohnzimmerfenster schaut Judith Reinhard auf eine kleine Mutterkuhherde. Alles noch recht junge Tiere, ein paar kuschelige Kälber, deren Mutterkühe und ein imposanter Bulle. Sie hat sogar noch einen weiteren Bullen, aber den hat sie grade ausgeliehen: „Bulli ist so ein tolles Tier, er ist mir ans Herz gewachsen. Töten kommt nicht in Frage.“ Auf der Weide daneben steht eine Kuh mit ihrem Kalb alleine. Das Kalb ist blind geboren worden, aber deswegen schreibt es die ehemalige Modejournalistin natürlich nicht ab: „Auf diesem Gelände hier ist alles überschaubar, hier findet sich der Kleine zurecht und kann ganz in Ruhe weiter aufwachsen.“ Die Kuh hat schon fünf gesunde Kälber zur Welt gebracht, nur dieses eine kann nicht sehen. Gleich hinter den Beiden, nur durch den recht schmalen Bachlauf der Wümme getrennt, liegen zwei weitere Wiesen. Die eine ist belegt mit ein paar älteren Kühen und ihren Kälbern; die andere mit ein paar Ochsen. „Die Ochsen geben besonders gutes Fleisch, sehr zart, aber sie wachsen langsamer als alle anderen,“ meint Judith Reinhard.
Es ist ein heißer Tag, 34 Grad im Schatten. Sicher würden die zotteligen Tiere sich gerne in der Wümme etwas abkühlen, aber das ist nicht erlaubt, aus Naturschutzgründen. Trinken können die Tiere aber immer. Jede Weide ist mit eigener Wasserversorgung ausgestattet. Einmal am Tag läuft Judith Reinhard alle Wiesen ab. Sie besucht ihre Tiere und kontrolliert ob alles in Ordnung ist: „Das ist auch wichtig, damit die Tiere sich immer wieder an mich gewöhnen. Sie verwildern sonst schnell.“ So sind sie auch relativ einfach zu händeln. Einziger Wermutstropfen für die dick befellten Rinder, es ist manchmal einfach zu heiß in Deutschland, im Moment über 30 Grad. Die Galloways kommen ursprünglich aus Südschottland, wärmer als 20 Grad wird es dort nicht.
Mitte der 80iger Jahre, als der Strukturwandel schon gut im Gange war, und viele kleine Höfe zum Verkauf standen, ergriffen viele Akademiker die Chance auf’s Land zu ziehen. Es war schick geworden. Ärzte u. Architekten, Juristen, Journalisten u. Werber, wer auf sich hielt züchtete sein eigenes Steak hinterm Haus. Die Galloways kamen in Mode. Sie waren geradezu genial für die Nebenerwerbslandwirte, genannt Mondscheinbauern: von Natur aus hornlos sind die coolen Schotten auch noch äußerst genügsam und setzen viel Fleisch an. Zu Hauf wurden die wuscheligen Tiere plötzlich nach Deutschland importiert: in ganz schwarz, black, white mit schwarzen Puschelohren, belted in schwarz mit einer weißen Bauchbinde, dun in schmuddeliger graubraun Tönung, oder ganz selten in rigget, eine besondere Schwarzweißscheckung. In Schottland wurden die Tiere überwiegend zur Weidepflege eingesetzt. Galloways muffeln vergnügt was die Weide her gibt: Binsen, Quecken, Weiden, einfach alles. Sie sind geniale Beikrautvernichter und haben in Schottland die Aufgabe die Wiesen für die deutlich mäkligeren Schafe zu präparieren. Schafe sind dort wertvoller als die Rinder. So genügsam und easy waren die Galloways einfach die geniale Zuchtrasse für die ganzen deutschen Neueinsteigerbauern.
Mit der BSE Krise 1986 fand dieser Boom ein jähes Ende. Die an Bovine Spongiforme Encephalopathie, sog. Rinderwahnsinn, erkrankten Rinder waren durch falsches Futter erkrankt; vermutlich ausgelöst durch unsachgemäß aufgearbeitetes Tierkörpermehl welches die Briten bereits den Kälbern in die Milch gaben oder dem Kraftfutter beimischten. Das betraf natürlich nicht nur die Rasse der Galloways sondern alle Rinder die in England mit diesem Futter gefüttert wurden. Es geschah in dem Bestreben der stetigen Nachfrage nach neuen Tieren nachzukommen.
Judith Reinhard kommt aus einer bäuerlichen Familie. Als sie 1999 den Hof erbt, gibt sie einige Zeit später die Medienbranche auf und fängt an Galloways zu züchten. Ihr Mann unterstützt sie dabei: „Wir haben viel Lehrgeld bezahlt, wenn mein Mann mir nicht immer wieder beigestanden hätte, ich weiß nicht ob ich den Hof noch hätte; aber jetzt läuft es und wir sind sehr zufrieden.“ Sie hat einen kleinen Kundenstamm der die Güteklasse ihrer Fleischprodukte schätzt. Geschlachtet wird nur 6 bis 7 mal im Jahr direkt auf dem Hof mit Genehmigung des örtlichen Veterinäramtes. Dann kommt der Schlachtermeister persönlich vorbei, betäubt das Tier mit einem Bolzenschussgerät und lässt es noch vor Ort ausgebluten. Der Tod kommt sehr schnell. Das Tier hat gar keine Zeit mehr für Stress oder Angst. „Zu Anfang, als wir die Tiere noch in die nahe gelegene Hausschlachterei fahren mussten, haben wir dann teilweise blaues Fleisch wieder bekommen. Oder wir mussten mit ansehen, wie unsere Tiere mit Mistgabeln mit aller Gewalt in die Tötebucht buxiert wurden. Das wollten wir nicht mehr.“ Wenn die Schlachtung so brutal und stressig für das Tier verläuft kann man das Fleisch vergessen. Die ganzen drei Jahre der sorgfältigen und liebevollen Aufzucht sind mit einem Schlag zunichte gemacht. „Meine Tiere sollten sowas nicht mehr erleben. Jetzt erleiden sie einen eher sanften, völlig stressfreien Tod.“ Das schmeckt man sicher auch an den saftigen fein marmorierten Steaks. Wer Interesse hat kann sich bei Judith Reinhard anmelden. Sie genießt es ihre Tiere zu zeigen auf die sie stolz ist. Man kann aber auch einfach bestellen und bekommt es dann von ihr geliefert. Ab und zu ist sie auch in Hamburg auf dem Isemarkt. Die Zeiten stehen auf ihrer Homepage.
Quellen: Recherche vor Ort, „Das andere Kuhbuch“ von Tierarzt Michael Brackmann, Internet
Tags: Hof Wümmetal Luxus Schotten reinrassige Galloway-öko-zucht