
Wenn die Gondeln Schweine tragen, schippern sie nicht beschaulich, begleitet vom Lied eines Gondoliere, über den Canale Grande, nein, sie fahren direkt in die Hölle, in die Hölle für Borstenvieh. So jedenfalls sehen es die Aktivisten von der Tierrechtsorganisation Peta. Unstrittig ist: 59,3 Millionen* Schweine werden jedes Jahr bei uns geschlachtet, die meisten davon mit Hilfe eines Verfahrens, bei dem die Tiere zunächst mit CO2 betäubt werden. An rund 300 Tagen im Jahr – sonntags stehen die Förderbänder still – schicken Schlachtbetriebe, die diese Methode verwenden, insgesamt etwa 40 Millionen Schweine in Metallkäfigen, sogenannten Gondeln, in den Kohlendioxid-Schacht zur letzten „Ohnmacht“ vor ihrem Tod. Auch Leute, die weiter mit gutem Gewissen Fleisch essen, müssen mit dem Wissen leben, dass die Tiere so massenhaft-industriell zu Tode gebracht werden. *Quelle:statistisches Bundesamt
Peta erstattet Strafanzeige in neun Bundesländern gegen 25 Schweine-Schlachthöfe die mit CO2 betäuben
Peta aber will dem Verfahren jetzt grundsätzlich einen Riegel vorschieben und hat bei 18 Staatsanwaltschaften Strafanzeige gegen insgesamt 25 Schlachthof-Betriebe gestellt: „Es sind alles CO2-Betäuber, die den Tieren unnötiges Leid zufügen“, so Sophie Nouvertné, Justiziarin bei Peta Deutschland. „Sie alle verstoßen, unserer Ansicht nach, gegen den §17 des Tierschutzgesetzes.“
Nun kann man die Ziele von Peta, die nicht nur, wie der englische Vereinsname schon sagt, für die „ethische Behandlung von Tieren“ streitet, sondern für den kompletten Verzicht auf den Verzehr von Fleisch und den Veganismus, für radikal halten; man muss auch einige ihrer Methoden nicht mögen. Einen gewissen Rückenwind für ihre Strafanzeige aber finden die Tierschützer im Tierschutzbericht der Bundesregierung von Ende 2015. Darin heißt es: „Nach Schätzungen des Max-Rubner-Instituts (MRI) werden zwei Drittel der deutschen Schweine vor der Schlachtung mit Kohlendioxid (CO2) betäubt. Der Hauptvorteil liegt in einer effizienten Gruppenbetäubung mit wenig Personaleinsatz. Die CO2-Betäubung steht in der Kritik, weil die Betäubung nicht sofort eintritt und die Tiere bei der Einleitung Atemnot-Symptome und ein starkes Abwehrverhalten zeigen.“ Der Bericht hält auch fest: „Derzeit sind allerdings noch keine praxistauglichen Alternativen verfügbar.“ Tatsächlich?
Auch Tönnies betäubt die Schweine mit Kohlendioxid
Auf der Peta-Liste stehen alle maßgeblichen industriellen Schlachtbetriebe in Deutschland, welche die Aktivisten für CO2-Benutzer halten. Sie wollen offenbar alles vor den Kadi ziehen, was in Fleischerkreisen Rang und Namen hat. Auch Clemens Tönnies ist mit seinem Unternehmen dabei; im Ranking der deutschen Schlachthöfe steht die Tönnies-Gruppe, immer noch ein Familienunternehmen, auf Platz eins. „Tönnies schlachtet jedes vierte Schwein“, heißt es bei der Interessengemeinschaft Schwein (ISN). Das Töten läuft bei dem Schlachterkönig ab wie bei allen anderen dieser Kategorie, nur ausgeklügelter, was den Tierschutz angeht, und wesentlich umfangreicher.
Ortstermin in Rheda-Wiedenbrück, einem Kreisstädtchen mit Fachwerkcharakter in Nordrhein-Westfalen; es ist der Heimatort von Clemens Tönnies und Hauptsitz seines Schlacht-Imperiums – ein Vorzeigebetrieb. Tönnies zeigt seinen Stolz: „1992 nahmen wir diese Betriebsstätte ans Netz mit damals 16000 Quadratmetern Produktionsfläche, heute hat Tönnies Rheda eine umbaute Produktionsfläche von 165000 Quadratmetern und ist somit das größte Fleischwerk weltweit“, sagt der Unternehmer Anfang letzte Woche bei der Jahrespressekonferenz seines Unternehmens inklusive Werksführung. Das Werk liegt mitten im sogenannten deutschen „Schweinegürtel“; hier leben mehr Schweine als Menschen. So verwundert es nicht weiter, dass der Schlachthof gut ausgelastet ist. Die meist etwa sechs Monate alten zukünftigen Schinkenspender kommen zu 85 Prozent aus Deutschland, die übrigen 15 Prozent aus der Rest-EU hierher.
Täglich kommen bis zu 200 LKW’s mit bis zu 25000 Schweinen
Für seine Schlachtbetriebe hat Tönnies einen eigenen Tierarzt eingestellt, der die Abläufe optimieren und überwachen soll. Jörg Altemeier ist in Rheda-Wiedenbrück dafür zuständig und gut beschäftigt: „Täglich kommen bis zu 200 LKWs mit bis zu 25000 Schweinen an den sechs Verlade-Rampen bei uns an“, erzählt er. Ein Betrieb fast wie am Flughafen. Rückwärts docken die Transporter am Schlachthof an, und die Schweine laufen, ähnlich Flugpassagieren nach der Landung, durch kurze „Rüssel“ in den Ankunftsbereich. Von dort werden die rosa Vierbeiner in ihrer Gruppe in schlauchartige Wartebuchten getrieben, in die jeweils etwa 100 Tiere hineinpassen können. Zur Begrüßung gibt es einen kleinen Pausen-Snack, eine Schaufel Mais. Man gibt sich Mühe bei Tönnies. Dicht an dicht stehen die Tiere dann in einigen Buchten, etwa so eng wie die Japaner zur Rush-Hour in der U-Bahn von Tokyo. Es ist laut. „Die Schalldämmung in den Decken ist hier noch nicht installiert“, erklärt Altemeier.
Die Schweine riechen die anderen Borstentiere, und sie hören zuweilen deren Schreie. Die klingen ängstlich und so laut, dass sie die Beruhigungsmusik übertönen, die leise im Hintergrund vor sich hin schnarzt. Mit grünem Licht und Wassernebeln will man den Tieren weiter artgerecht entgegenkommen. Höchstens zwei Stunden, dann sind sie dran. Mit einer Art von Paddeln treibt ein Mitarbeiter sie auf den leicht bergan führenden Zutriebsweg in Richtung Betäubungs-Gondeln. Das hat Altemeier gut durchdacht, die Treiber sollen die Tiere nicht berühren. Die Geräusche genügen für den Antrieb.
Ein wenig Tuchfühlung mit dem Nachbarn beruhigt die freundlichen Tiere vermutlich, so sind die Gänge hinten oft rappelvoll. Ein paar der Tiere versuchen in entgegengesetzter Richtung davon zu kommen, doch vergeblich. Schiebewände auf Betonboden versperren ihnen den Rückweg. Die meisten könnten locker noch 12 Jahre leben, aber aus diesem Getriebe gibt es für sie nur einen Weg: in die Gondeln.
Was passiert in der CO2 Grube?
Was dort genau mit den Schweinen passiert, hat der Tierforscher Prof. Klaus Troeger, ehem. Leiter vom Max-Rubner-Institut (MRI) in Kulmbach, 2012 für eine Studie – mit Tönnies’ Unterstützung übrigens – untersucht: Nebeneinander werden die Tiere mit einem Schiebeschild über die Breitseite in die Stahl-Gondel getrieben. Mehrere dieser Metallkäfige laufen wie in einem Paternoster an Ketten aufgehängt im Kreisverkehr. Die ganze Anlage wird „Backloader“ genannt. Während ein Stahlkäfig auf der einen Seite mit bis zu acht Schweinen beladen werden kann, sinkt eine andere Gondel etappenweise in den neun Meter tiefen CO2-Schacht hinab. Gleichzeitig schüttet ein anderer Behälter die nun betäubten Schweine auf der gegenüberliegenden Seite auf das Schlachtband aus.
Was mit den Schweinen in der CO2-Grube passiert, rekonstruierte Troeger mit Hilfe einer Videokamera in seinem Institut: „Wenn man die Klappen öffnet und sieht, was passiert, wenn die Tiere in den CO2-See eintauchen, spätestens dann kommt bei vielen Leuten die Erkenntnis, dass man Tiere so eigentlich nicht betäuben kann“, resümierte er. Die Gondeln seien äußerst unangenehm für die Tiere: „Sie strecken die Schnauzen nach oben, zeigen Maulatmung, also typische Anzeichen eines Erstickungsgefühls, und drängen nach oben.“ Es sei eng dort unten, und während es abwärts gehe, werde die Luft immer knapper. „Die Tiere bekommen Angst, auch weil das Gas in Verbindung mit Flüssigkeit zu einer schwachen Säure wird und dann zusätzlich ihre Schleimhäute angreift“, so Troeger. Die Robusteren unter den Tieren richten sich auf und steigen auf ihre Artgenossen drauf, um so lange wie möglich Luft zum Atmen zu bekommen. Die Atemnot versetzt sie in Panik, die sich in lauten, schrillen Schreien äußert. Die Grundlautstärke der Anlage von 80,4 dB steigt dann in der Grube auf einen Lärmpegel von 105,8 dB an, fand Troeger mit seinem Team heraus. Das entspricht der Lautstärke eines Presslufthammers in einem Meter Entfernung.
„Schon eine Sekunde Todesangst ist zu viel!“
Zehn bis zwanzig Sekunden dauere es, bis die Schweine durch das CO2 betäubt sind, behauptet Peta – vornehmlich um diese zehn bis zwanzig Sekunden „Erstickungsnot“ und „Todesängste“ geht es den Tierrechtlern. Edmund Haferbeck, Manager der Rechtsabteilung von Peta Deutschland, sagt: „Schon eine Sekunde davon ist viel zu viel für jedes Schwein.“
Die vorgeschriebene Mindestaufenthaltsdauer im CO2-Schacht: 100 Sekunden; so ist es gesetzlich angeordnet, um sicherzustellen, dass die Schweine möglichst tief und fest narkotisiert sind. Nach etwa eineinhalb Minuten taucht die Gondel wieder auf und wirft die leblosen Körper auf das Förderband, wo sie von einem Mitarbeiter erwartet werden. Möglichst zügig, damit sie beim nächsten Arbeitsgang noch betäubt sind, werden sie an einem Fuß angeschlungen, an einen Haken gehängt und in den Fließverkehr eingereiht. Der gewollte Tod erfolgt dann durch Ausbluten. Der nächste Mitarbeiter am Band sticht mit einem Hohlmesser zu. Er muss direkt in die Hauptschlagader treffen, damit das Blut gut fließt. Das Blut läuft dann über einen angeschlossenen Schlauch ab. Erst wenn es tot ist, darf das Tier in die Dampf- oder Sprühbrühanlage kommen, eine Art Schweinewaschanlage mit Wasser, das auf 62 Grad Celsius erhitzt ist.
Der rote Knopf am Fließband
Fließbandarbeit: etwa alle fünf Sekunden ein Stich, ein Schwein, ein Stich, ein Schwein; 750 Tiere pro Band, etwa 1450 bis 1500 Tiere pro Stunde. Eine recht blutige Angelegenheit. Es ist eben ein Schlachtbetrieb, auch wenn er als einer der modernsten in Europa gilt. „Wenn ein Arbeiter diese Hauptarterien nicht richtig trifft oder ein Schwein vergisst, weil mal drei übereinander hängen, dann fährt das Tier unter Umständen bei vollem Bewusstsein in die heiße Brühe“, sagt Troeger besorgt. „Diese Fehlentblutungen bei großen Betrieben sind ein Problem.“
Bei Tönnies habe man als Konsequenz aus seinen Erkenntnissen Kontrollsysteme beim Entbluten eingebaut, so Troeger, die bei anderen Schlachthöfen aber so oft noch nicht nachgerüstet seien. Bei Tönnies wiegt eine Waage das Schwein automatisch vor und nach der Entblutung. Wenn das Gerät keine sichere Entblutung registriert, zeigt es das an. Dann muss nachgestochen werden. Zusätzlich misst ein Analysegerät die Blutmenge. Das sei aber nicht ganz sicher, sagt Tönnies-Tierarzt Altemeier; deswegen habe man noch einen Mann dort stehen, der bei jedem Tier den Cornealreflex prüfen soll.
„Dieser Mitarbeiter hat bei Tönnies die Berechtigung, den roten Knopf zu drücken, um das Band zu stoppen.“ Mit einem Bolzenschussgerät kann der Mitarbeiter dann dem Tier den Rest geben. Dafür hat er aber nicht allzu viel Zeit, obwohl ein Zeitpuffer eingebaut ist; das Band soll laufen, wie eine Autobahn zur Hauptreisezeit. Doch bei der hohen Umschlagsmenge bleiben ein paar Stops nicht aus: „Wir haben eine tägliche Haltequote, das kommt einfach vor“, räumt Altemeier ein. Ende Mai soll zusätzlich noch ein Videogerät zur Kontrolle installiert werden.
ungeplantes Erwachen
Dieses Problem kennt natürlich auch Martin von Wenzlawowisz, Fachtierarzt für Betäubung und Schlachtung beim Beratungs- und Schulungsinstitut für Tierschutz bei Transport und Schlachtung (BSI Schwarzenbek); er besucht viele deutsche Schlachtbetriebe, auch den von Clemens Tönnies kennt er gut. „Eine individuelle Betreuung der Tiere kann schon ab dreitausend Tieren am Tag nicht mehr möglich sein. Die Fehlerquote bei der Betäubung in CO2-orientierten Schlachthöfen liegt in guten Betrieben bei null, in schlechten bei fünf Prozent“ so von Wenzlawowisz. Im ungünstigsten Fall also könnten fünf Prozent der Tiere kurzfristig aus der Ohnmacht vor dem Tod erwachen. Theoretisch könnten sie dann lebendig für vier Minuten in die 62 Grad heiße Brühe getaucht werden, bevor sie danach in die Kratzmaschine kommen, wo die Borsten abgekratzt werden. Dann folgt die Abflammanlage, um die restlichen Borsten abzukriegen. „Die Schweine, die in der Brühanlage sterben, erleiden einen Kreislaufzusammenbruch. Woran sie gestorben sind, sieht man im Nachhinein nicht mehr“, erläutert von Wenzlawowisz.
Und was ist mit dem Leiden der Tiere bei der CO2-Betäubung? Tönnies hat auf die aktuelle Diskussion mit einer Stellungnahme reagiert; darin heißt es unter anderem: „Die Behauptung der Bundesregierung über mangelhaft betäubte Tiere trifft auf unsere Schlachtbetriebe nicht zu. Wir betreiben unsere CO2-Anlagen zur Betäubung mit der sogenannten Tiefenbetäubung. Dies bedeutet, dass die Tiere in einer Gondel in 92%ige CO2 Atmosphäre verbracht werden. (gesetzlich vorgegeben sind nur 80 %) Dies ist notwendig, damit die Tiere so schnell wie möglich die volle Konzentration des Narkosegases einatmen. Die so durchgeführte Tiefenbetäubung gewährleistet eine 100%igen Betäubungserfolg vor und bei der Entblutung.“
Hier widerspricht Experte Troeger, sonst in vielem zufrieden mit Tönnies’ Bemühungen, deutlich: „Es ändert gar nichts an der zur Debatte stehenden Qual der Tiere, denn die CO2-Betäubung ist eine Inhalationsnarkose; 10 bis 20 Atemzüge sind also immer nötig, bevor das Gas wirkt. Die Säurewirkung auf die Schleimhäute, die Erstickungsnot und die daraus resultierende Panik spürt das Tier trotzdem.“
Betäubung und Geschmack
Nachdem Troeger sich das Werk in Rheda angesehen hatte, forschte er in seinem Institut in Kulmbach nach Alternativen zum CO2, eine Studie im Auftrag von Tönnies. An 80 Schweinen testete der Tierforscher verschiedene Gasgemische, darunter Helium und Argon, und deren Wirkungen. Er fand heraus, dass Schweine mit Helium sanft hinüberschlummern: „Das ist eine Betäubung, wie sie sein sollte; das Schwein merkt und spürt nichts. Das ist das, was sich der Verbraucher unter einer Betäubung vorstellt – und nicht das, was bei uns in der Praxis gemacht wird, darunter leiden die Tiere nämlich.“ Auch die Qualität des Fleisches war besser, gerade im Vergleich zum CO2-Fleisch, das durch die Ausschüttung von Stresshormonen beim Schwein oft blass, weich und wässrig ist – oder zäh. Ganz anders das Produkt von mit Helium betäubten Tieren: „Es war top zart, und man hatte fast den Eindruck, so ein Schweinefleisch kriegt man nirgends zu kaufen.“
Was also spricht gegen den breiten Einsatz von Helium in Schlachthöfen? Der sei, so die Bundesregierung in ihrem Tierschutzbericht, „gegenwärtig nicht praxisreif, da seitens der Gasindustrie die erforderlichen Mengen an Helium nicht bereitgestellt werden können.“ Mit Argon hatten die Tiere bei Troegers Suche nach einer CO2-Alternative auch keine Probleme; nur wiesen ihre Schlachtkörper zum Teil rote Blutspots auf: „Dieses Fleisch war für den Handel leider nicht verwertbar“, so der Forscher. Vermutlich meint Tönnies-Tierarzt Altemeier solche Probleme, wenn er erklärt: „Die Alternativen Helium und Argon erwiesen sich für uns als nicht praktikabel.“
Dass die Branche nicht einfach so weitermacht wie bisher, das sollen jetzt, geht es nach Peta, die Juristen richten. Es ist nicht neu, dass die Tierrechtler es mit einer Strafanzeige versuchen. Im Februar 2015 versuchten sie so, gegen die Tötung männlicher Hühnerküken direkt nach dem Schlüpfen vorzugehen. Die Staatsanwaltschaft Münster erhob im November letzten Jahres tatsächlich Anklage gegen eine Brüterei in Nordrhein-Westfalen; Anfang März dieses Jahres wies das Landgericht es jedoch ab, ein Verfahren zu eröffnen.
Klage und Aussicht
Der aktuellen Klage geben Fachleute ebenfalls erst mal wenig Chancen. Zum Beispiel Almuth Hirt aus München, Vorsitzende Richterin am Bayerischen Obersten Landesgericht a.D. und Mitautorin eines Kommentars zum Tierschutzgesetz. Es spreche vieles dafür, dass Schweine, die mit CO2 betäubt werden, in der Zeit zwischen dem Einbringen in die CO2-Atmosphäre und dem Beginn der Betäubung „erheblich leiden“, so die Juristin. Sogar der Wissenschaftliche Ausschuss für Tiergesundheit und Tierschutz der EFSA, der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, spreche von Qual, also „potential distress and suffering“. Hirt weiter: „Wenn man also zu dem Ergebnis kommt, dass das erhebliche Leiden, dem die Schweine ausgesetzt sind, bis zum Eintritt der Bewusstlosigkeit länger anhaltend ist, müsste man eine Straftat nach § 17 des Tierschutzgesetzes bejahen.“
Ein Problem sei jedoch, dass die CO2-Betäubung von Schweinen sowohl in der EU-Schlachtverordnung als auch nach der deutschen Tierschutz-Schlachtverordnung eine zulässige Betäubungsmethode darstellt. Folglich könnte es sein, dass Staatsanwälte oder Richter, die über eine solche Strafanzeige zu entscheiden hätten, nichts gegen die CO2-Schlachtbetriebe unternähmen, so lange man nicht davon ausgehen kann, dass derjenige, der die Methode anwendet, „schuldhaft im strafrechtlichen Sinne“ handelt. Zudem habe der Rat der EU, also die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten einschließlich der deutschen Bundesregierung, sich bei der Zulassung der CO2-Betäubung aus wirtschaftlichen Gründen über tierschutzrechtliche Bedenken hinweggesetzt – wie er selbst zugab. Um dagegen vorzugehen, „müsste eine Klage zum Europäischen Gerichtshof erhoben werden, und zu solchen Klagen sind in der Regel nur die Regierungen der Mitgliedstaaten oder die EU-Kommission berechtigt, nicht dagegen der einzelne Bürger“. So würde sich am massenhaft eingesetzten CO2 nichts ändern.
Markt und Märkte

Clemens Tönnies re stehend, li neben ihm Ove Thejls CEO Tican A/S, sitzend mit Brille Frank Duffe GF Tönnies
Die neusten Entwicklungen gab Clemens Tönnies am 4.4.2016 in seinem Haupthaus in Rheda bekannt: „Wir haben in dem Jahr 15 noch mal nicht unerheblich auflegen können, haben also in Deutschland 16,2 Millionen Schweine geschlachtet, gruppenweit sind wir ohne Tican bei 18,2 Millionen Schweinen.“ Und der Branchenprimus wächst weiter: die Übernahme der dänischen Tican Holding ist nun eingetütet. Man erhoffe sich mit Tican eine Expansion auf den englischen und auf den japanischen Markt. Europaweit bringt es der Fleisch-Tycoon mit der dänischen Tican A/S auf 20 Mio. Schweine Schlachtungen im Jahr, alle mit CO2-Betäubung, wie gehabt. Nun strebe man eine Standardisierung der Abläufe innerhalb der Tönnies Gruppe an und wolle die Internationalisierung voran bringen. „Da passt Serbien rein, Dänemark, Frankreich, Spanien, das sind alles Länder wo man eine gute Schweineerzeugung hat, aber ein guter internationaler Vermarkter fehlt, den können wir gut stellen.“ Kooperationen mit der französischen Avril Gruppe sind im Gange, in Serbien wolle man 10 Farmen betreiben und ein vergleichsweise kleiner Ausbau einer Schlachterei sowohl für Schweine als auch für Kühe, in Schleswig Holstein, in Kellinghusen, würde gerade begonnen.
Martin Häusling, Europa Abgeordneter und selbst Landwirt spricht aus Erfahrung: „Rund um die Schlachthöfe gibt es einen Konzentrationsprozess der Tierhaltung. Viele Bauernhöfe fallen einem gnadenlosen Verdrängungs-wettbewerb zum Opfer. Oftmals ist es so, dass den Bauern am Ende die Mastställe gar nicht mehr gehören. Sie werden zu Lohnmästern, Angestellten von Banken und Schlachtunternehmen. Die Bauern tragen nur noch das Risiko.“ Häusling ist auch der Ansicht, die deutsche Agrarindustrie sei die aggressivste nach der amerikanischen. Die belgische Regierung hätte sich bezüglich der Verdrängungspolitik des Herrn Tönnies bereits beschwert. Das, was Herr Tönnies gerade anstrebe, sei eine Marktbeherrschung im Schweinebereich. Was im Geflügelbereich bereits geschehen ist, vollziehe sich jetzt im Schweinemarkt.
Der deutsche Markt für Schweinefleisch mit einem Selbstversorgungsgrad von 117,4 % scheint mehr als versorgt, der europäische mit 109 % ebenfalls. Dr. Heike Harstick, Hauptgeschäftsführerin vom Verband der Fleischwirtschaft e.V. (VdF) sieht das anders: „Das sagt nichts über Marktsättigung aus.“ Ein erheblicher Anteil der Verbrauchsmenge in D würde aus anderen EU-Ländern eingeführt und ein Teil der Produktion in andere Länder der EU geliefert oder in Drittländer exportiert. „Dies liegt insbesondere daran, dass Schweinefleisch in Teilstücken verkauft und konsumiert wird, die völlig verschieden voneinander sind (z.B. Bauchfleisch und Filet)“ findet Harstick.
Auch im Schlachtsektor sorgt der Strukturwandel für Kummer. Etwa ein Drittel der Handwerksbetriebe in Deutschland schlachtet noch selbst, alle anderen Metzgereien benötigen kleinere und mittlere Strukturen in ihrer Region, in denen sie entweder selbst schlachten können oder schlachten lassen. Der Trend zu immer größeren Einheiten benachteilige die kleinen, handwerklich arbeitenden Abnehmer. „Wer stabile regionale Wirtschaftsstrukturen möchte, der darf diese nicht benachteiligen. Politiker reden gerne von regionalen Kreisläufen oder ländlichen Strukturen, entschieden wird allerdings in Richtung des Gegenteils, siehe zum Beispiel die aktuelle Ministererlaubnis Herrn Gabriels zu Edeka und Tengelmann,“ sagt Gero Jentzsch, Pressesprecher vom Deutschen Fleischer-Verband e.V..
Mögliche Alternativen
Doch ein paar gibt es noch, Betriebe mit Herz, wo Schweine auch Kühe sein dürfen wenn sie wollen, wie beim „Biofleisch Hüttener Berge“ in Schleswig-Holstein. „Hier wird noch per Hand geschlachtet und die Schweine sogar mit Bolzenschuss betäubt, einzeln, eins nach dem anderen, das ist genial,“ erzählt Angela Dinter, Fachreferentin für Schlachtung und Transporte von Provieh e.V..
Sogar das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hat sein Herz für die „Kleinen“ geöffnet und stellt in „LandInForm“, dem Magazin der deutschen Vernetzungsstelle für ländliche Räume (dvs), den mobilen Metzger vor: Matthias Kürthen aus Wüpperfürth. Der Metzger aus Leidenschaft reist mit seiner „Schlachttechnik auf Rädern“ durch Nordrhein-Westfalen. Er schlachtet auf Bestellung die Schweine vor der Haustür der Bauern.
Schweineblut in Zigarettenfiltern
Momentan maßgeblich für die Masse sind zwei industrielle Betäubungsmethoden: Die eine betäubt mit elektrischem Strom, die andere mit CO2. Beide seien nicht optimal, so stellte Troeger 2015 fest. Die Tiere litten in erheblichem Umfang, und die Fehlerquoten seien zum Teil noch viel zu hoch. Troeger: „Eine tiergerechte industrielle Schlachtung von Schweinen erscheint mir nur nach irreversibler Betäubung mittels eines nicht aversiven Gases wie bevorzugt He oder Ar möglich.“ Irreversibel wäre die Betäubung dann, wenn ein Wiedererwachen der Tiere auch bei ausbleibender Entblutung nicht einträte. Da bestünde noch erheblicher Entwicklungsbedarf. Tierarzt Martin von Wenzlawowisz ist der gleichen Meinung, außerdem findet er es nicht vertretbar, dass so viel Fleisch im Müll landet: „Fleisch ist einfach zu billig!
Die Schweinefleischerzeugung stieg in 2015 gegenüber dem Jahr 2014 um 0,8 % auf 5,56 Millionen Tonnen, obwohl der Markt übersatt ist, erläutert Michael Álvarez, von der Heinrich Böll Stiftung. Die Stiftung bringt jedes Jahr den Fleischatlas heraus mit Fakten zum Fleischkonsum: Im Jahr 2014 beispielsweise verbrauchten die Deutschen 53 Kg Schweinefleisch pro Kopf, haben aber nur 38,2 kg davon tatsächlich verzehrt. Die 14,8 kg Differenz, werde direkt industriell verwertet. „Das sind rund 28% des Gesamtverbrauchs die zum Beispiel als Schweineblut in Zigarettenfiltern landen, als Gelatine die Kosmetik- oder Pharmaindustrie bestücken, als Schweinefett in Biodieselanlagen wandern, oder sich in anderen äußerst fragwürdigen Verwertungen tierischer Produkte, also letztendlich von Lebewesen, niederschlagen – als direkte Folge der industriellen Überproduktion.“
Ein Hoffnungsschimmer
Eine Möglichkeit sieht Almuth Hirt, die Juristin, aber doch noch: „Dem EU- Gesetzgeber ist vorzuwerfen, dass er die Empfehlungen der EFSA aus deren Bericht von 2004: die Betäubung mit CO2 schrittweise einzustellen und stattdessen ein tierschonenderes, ebenfalls zugelassenen Edelgas zu verwenden, aus rein wirtschaftlichen Gründen nicht in die EU- Schlachtverordnung eingearbeitet hat. Damit hat der Gesetzgeber gegen seine eigene Forderung in Art. 3 der Verordnung verstoßen, die Tiere bei der Tötung von jedem vermeidbaren Schmerz, Stress und Leiden zu verschonen. Gegen diesen Missstand kann jeder EU- Bürger bei dem vom Europäischen Parlament gewählten Europäischer Bürgerbeauftragter nach Art. 228 AEUV Beschwerde führen.
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