…die exklusivste Delikatesse der Welt von einem Stör-Bauern aus Norddeutschland
Matt schwarz liegen die Teiche wie viereckige Löcher im weißen Schnee, an diesem leicht verhangenen Dezember Morgen im Naturpark Aukrug. Man sieht es nicht, aber in ihnen schlummern ungewöhnliche Kostbarkeiten. Geschickt laviert der Eigentümer, Christian Zuther-Grauerholz, seinen Trecker über einen schmalen Damm, an einigen Teichen vorbei, durch Frau Holles weiße Sahne-Landschaft bis hin zu seinen „ausgereiften“ Schätzen: Belugas, Osietras und Sibirische Störe. Eine Auswahl tummelt sich kurz vorm Waldrand, in extra angelegten natürlichen Hälterungsbecken. Zuther-Grauerholz ist einer der wenigen Caviar-Stör-Bauern Deutschlands. Die seltenen Knochenfische sind seine Passion: „Das Mystische dieser Fischart hat mich gelockt, dazu die wunderbare Delikatesse die sie entwickelt, es passte einfach gut!“
Gut gelaunt springt der Herr der Störe von der Zugmaschine und schwenkt den Fischkorb, den sogenannten Catcher, vom Hänger rüber zum rechten Teichufer. Zusammen mit seinem russischen Sales Manager, Sergey Andreev, will er heute Rogen ernten. Andreev kommt ursprünglich aus Moskau. Der Russe hat ein Faible für echten Caviar. In Wathosen, gummierten Anglereinteilern vom Stiefel bis zur Brust, bewegen sich die beiden Störkenner etwas ungelenk durch den frischen Schnee. Zuther-Grauerholz glitscht seitlich ins drei Grad Celsius kalte Wasser, befestigt ein Zugnetz an der Seite und bewegt sich mit dem anderen Ende des Netzes zum Teichende hin. Unter Wasser wird es von Bleigewichten am Boden gehalten. Zusammen ziehen sie das Netz von hinten nach vorne, wie eine Trennwand, durch den Teich. Die Teichoberfläche dahinter kommt schnell in Bewegung. Die Stördamen, auch Rogner genannt, werden unsanft aus ihrem Schlaf gerissen. Ein paar neugierige spitze Nasen lugen kurz unter der Wasseroberfläche hervor, um gleich darauf wieder zu verschwinden. Die Teiche sind etwa 1,50m tief. Störe sind schnell identifizierbar an ihren unterschiedlich ausgeprägten Nasen. Die sibirischen Störe haben relativ lange Nasen.
Je näher die Netz-Sperre zum Beckenrand kommt, umso lebendiger wird das Gewusel im Wasser. Als sich Zuther-Grauerholz und Andreev in der rechten Ecke treffen, können sie aus dem Vollen schöpfen. Gute eineinhalb Tonnen, 1500 Kg Fisch zappeln um sie herum. Lebende Tresore, gefüllt mit den begehrten schwarzen Perlen. Vierzig Fische holen sie pro Erntevorgang aus dem Hälterungsteich heraus. Wie früher der Karpfen in der Badewanne, werden auch diese Fische vor dem Verzehr gereinigt. „Das ist immens wichtig für die gute Qualität der Fischeier und den klaren Geschmack,“ bestätigt der Meeres- und Fischereibiologe Dr. Manfred Klinkhardt. Dazu siedelt Zuther-Grauerholz sie rechtzeitig vor der Ernte aus ihren normalen Teichen zum hältern in Lagunen um, die von frischem Quellwasser genährt werden. Ein paar Wochen entschlacken sie dort und werden dazu noch auf Linie getrimmt: „Wenn die Fische zu fett werden, dann gibt es leicht weniger Rogen,“ erklärt der Stör Fan.
Sorgfältig sammeln die Beiden Sibirische Störe in den Catcher, bis sich eine imposante Rarität heftig windend bemerkbar macht. Andreev und Zuther-Grauerholz können das etwa zwei Meter große, heftig zappelnde Beluga-Weibchen kaum bändigen. Ihre Nase ist etwas breiter als die der anderen Störarten und ihr Maul ist riesig. Sie gehört zu den kostbarsten und seltensten Fischen der Welt. „Dieses Weibchen ist etwa 30 Jahre alt und so um die 35000 € wert“, lächelt Zuther-Grauerholz. Belugas brauchen etwa 17 bis 30 Jahre bevor sie geschlechtsreif werden, je nach Klima, in wärmeren Gefilden geht es schneller. Diese Stör Dame hat zusammen mit einigen anderen Genossinnen nach der Wende von Mecklenburg-Vorpommern aus zu Zuther-Grauerholz rüber gemacht. So lange füttert er sie nun schon durch. Die Sibirischen Störe pubertieren schneller, sie setzen schon nach neun bis zehn Jahren Rogen an, was sich in gefälligeren Preisen abzeichnet.
Störe zählen zu den ältesten Fischarten der Welt, sie sind Urfische. Früher belebte ihr europäischer Verwandter, der europäische Stör, die Nordsee. So kamen die Wanderfische über die Stör, einem kleinen Fluss aus dessen Quelle Zuther-Grauerholz heute frisches Wasser gewinnt, auch in Schleswig-Holstein vorbei. Der Letzte wurde 1985 in der Elbe gesichtet.
Der Besatz war so üppig, dass man die Jungfische an die Schweine verfütterte. Noch in den 50er Jahren haben kaspische Fischer stark gesalzenen Caviar unter ihre Mahlzeiten gerührt, weil der eiweißreiche Fischrogen so günstig und nährstoffreich war.
Zar Peter der Große schätzte die Delikatesse „malo sol“, das heißt auf Russisch mit wenig Salz, und somit leichter verderblich. Reiterstafetten versorgten die Zaren kontinuierlich mit der Köstlichkeit. Andere Adlige und Feinschmecker kamen auf den Geschmack und so avancierten die schwarzen Fischkörnchen vom Arme-Leute-Essen zur Luxus Perle. Der „Kaviar-Rush“, Umweltverschmutzung, Wilderei und die Verbauung der Flüsse haben dem Stör fast überall den Garaus gemacht. Der anadrome, sowohl in Salz- als auch in Süßwasser lebende Wanderfisch, verlor den Zugang zu seinen Entbindungsstationen. In der Elbe, bei Geesthacht, helfen Wissenschaftler wie Dr. Jörn Gessner, von der „Gesellschaft zur Rettung des Störes“, seit 2010 mit einer Treppe dem Neubesatz auf die Sprünge in sein Wochenbett, zu den ruhigeren Laichplätzen im Fluss. Eine Geduldsprobe: „Bis zur Etablierung von sich selbst erhaltenden Beständen werden wohl noch ca. 30 Jahre vergehen, erst dann können wir aufatmen.“
Mit seiner ausgeklügelten Stör Farm hat Zuther-Grauerholz den Kaviarhandel in Deutschland ein Stück weit gerettet. Klinkhardt kennt die Anlage und bewertet sie gut: „Wer es schafft, seine Störe in einem Aquakultursystem gesund aufzuziehen und je nach Störart nach fünf, zehn oder noch mehr Jahren zur Reife zu führen, hat alles richtiggemacht.“
Etwa zwanzig Teiche durch Rohre miteinander verbunden bieten den Edelfischen ein sicheres „Nest“. Vor den Stören züchtete Zuther-Grauerholz hier bis 1994 Karpfen. Die schnappten ihm nur die Kormorane regelmäßig weg. Der Wechsel zu den größeren und schwereren Stören bot sich an: „Wir setzen die Störe erst mit über 750 g nach draußen, dann sind sie vogelsicher“, schmunzelt er. Alles etwas gediegen. Sein Großvater errichtete bereits die gemütliche Jagdhütte am Rande der Teiche. Nach der oft kalten, nassen Ernte pausieren Andreev und er hier gerne und wärmen sich auf, am Feuer und natürlich mit Caviar und speziellem Wodka aus Russland: „Dieser ist so trübe weil er mit Meerrettich angesetzt wurde, so schützt er ein wenig Erkältung,“ erklärt Sergey.
Von der Hütte hat man einen guten Überblick auf die Terrassen artig abfallende Teichpark- Idylle: Die Sonne hat sich zu einem Lächeln durch die Wolken entschieden und in der Ferne zieht ein Schwan seine besinnliche Runde. Das leichte Gefälle von der Quelle abwärts simuliert Bewegung. Die Paddel-Lüfter „beatmen“ die Gewässer dazu kontinuierlich mit Sauerstoff. Sie sehen von oben aus wie kleine Stromschnellen. Den Stören gefällt es in Ihrer „Mast“-Anlage. Sie haben ihren kontinuierlichen Aufenthalt im Süßwasser adaptiert und fühlen sich so gut gebettet einfach sauwohl.
Vom Catcher kommen die „schwangeren“, noch lebenden Fische mit den Modelmaßen in einen Transportbehälter mit frischem Wasser. Darin werden sie zügig zur nahen Fischverarbeitung Reese gebracht. Bevor es ihnen an den Kragen geht, wird mit geübten Handgriffen geschaut, ob der zukünftige Kaviar die richtige Reife hat: „Die Körner dürfen nicht überreif sein. Sie müssen genau die richtige Konsistenz haben: voll, groß und fest“ erklärt Zuther-Grauerholz, „sonst gehen sie bei der Verarbeitung kaputt.“
Dann wird jeder Fisch gewogen, sorgfältig gelistet und mit gezieltem Schlag auf die Knochenplatten in seinem Kopf betäubt. Fischwirt Jan Schulz hängt ihn sofort kopfüber auf und setzt einen gezielten Schnitt an die Kiemen. Wie bei anderen Nutztieren auch stirbt der Fisch durch ausbluten. „Das dauert genau eine Zigarettenlänge,“ meint Andreev, dann ist der Fisch tot. Während Zuther-Grauerholz, Andreev und Schulz sich vor der Tür ein Schmäucherchen gönnen, tropft das Fischblut dunkelrot, aus den Prachtexemplaren von Sibirischen Stören heraus, auf die weißen Fliesen des Fischverarbeitungsbetriebes. Zurück aus der Kälte, es ist knapp unter null Grad, hängt Jan Schulz die 1,30 m bis 1,50 m langen Tiere ab und legt Fisch für Fisch nacheinander auf dem blitzenden, sterilen Stahltisch ab. Zwei Schnitte sind nötig um den Fisch zu öffnen. Zuerst ein kleiner seitlich des Afters um Verunreinigung zu vermeiden. Der Längsschnitt, vom Kopf bis zum Schwanz, öffnet den Bauchraum und legt sofort die ganze Pracht der Ovarien, der Eierstöcke, frei. Das Ergebnis ist jedes Mal eine Überraschung. Zuther-Grauerholz grinst über beide Backen: “Besser könnte es gar nicht sein! Diese Sibirischen Störe sind schon etwas älter. Sie hatten bereits mehrfach Rogen angesetzt und resorbiert. Dadurch ist die Ausbeute besser.“
Eingebettet in zwei längs liegende Ovarien-Stränge ummantelt von dünner Schutz-Membran liegt der Rogen bereit. Vorsichtig hebt Andreev das noch unveredelte „schwarze Gold“ aus dem großen hübschen Fischlaib heraus und reicht Strang für Strang weiter an Zuther-Grauerholz. Der wiegt den Rogen, mit den Ovarien, und trägt das Gewicht in die Liste ein, die später unter anderem als Nachweis der Produktion dient. Der Fisch wird in dem Fischbetrieb weiter zerlegt und als Störfleisch verkauft. „Schmeckt gut, bissfest und relativ neutral“, sagt Jan Schulz, der Fischwirt des Verarbeitungsbetriebes. Die Ovarien von jedem einzelnen Fisch werden separat in Plastikbeutel verpackt und zum Transport auf Eis gelegt.
Zur endgültigen Veredelung transportiert Zuther-Grauerholz den Rogen weiter zu Dieckmann & Hansen in Hamburg, dem weltweit ältesten Caviar Handelshaus direkt an der Elbe. Seit 1869 handelt man dort mit Fisch und ganz besonders intensiv mit Caviar. Nach 2010 drohte dem Handelshaus fast das Aus. Das internationale Handelsabkommen „Cites“* strich alle Fangquoten und verbot den Wildfang der Fische generell, um die bedrohte Art noch nachhaltiger zu schützen. Das war Zuther-Grauerholz gute Stunde, kurzerhand sprang er mit seiner Teichwirtschaft zunächst in kleinem Rahmen ein.
* Convention on International Trade in Endangered Species of World Fauna and Flora
Der morgens geerntete Rogen wird in den hinteren Räumen von Dieckmann & Hansen, von zarten Händen aus Russland, Aserbaidschan und der Türkei, durch ein Stahlnetz gerieben bis die Eierstockhäutchen komplett von den schwarzen Körnern getrennt sind. Anschließend werden die Körner unter klarem Eiswasser gewaschen bis sie komplett von allen Blut und Geweberesten befreit sind. Den perfekten Mix verpasst der russische Caviar Meister des Hauses, Andre Dering, den noch jungfräulichen Fischeiern. Er wiegt den Kaviar erneut und fügt dann, entsprechend Hausrezept, Salz aus Lüneburg und das Mineral Borax hinzu: „Borax macht den Caviar haltbarer. Wir können so mit einem geringeren Salzgehalt aufbereiten, milder, malossol,“ erklärt Zuther-Grauerholz.
Etwa vier Minuten lang rührt Dering die grau weiße Hausmischung unter die schwarzen Körnchen, solange bis sie sich zwischen den Fingern schrotig anfühlen und ihre Farbe zu anthrazit wechselt. Dann wird der Caviar graduiert, also klassifiziert. Mit einem Messschieber misst Dering die Korngröße, bestimmt die Farbe und die Textur und notiert alles für den späteren Verkauf in eine Liste. Danach schüttet Dering den gesalzenen Rogen in ein noch feinmaschigeres Gazesieb, damit restliche Lake abtropfen kann. Die Frauen füllen den Kaviar daraus in 1,5 kg große Stülpdeckeldosen und den Rest in kleinere Gefäße. Mit eigens dafür gefertigten Handmaschinen werden die Dosen zugepresst, wobei die restliche Luft entweichen soll. Mit einem breiten Gummiband werden sie luftdicht verschlossen und dann ähnlich wie Champagner, kontinuierlich gewendet. So wird der Caviar immer wieder von der Salzlake durchlaufen und das Korn bleibt frisch und saftig. Bei minus vier Grad Lagerung können die Körnchen gleichmäßig fermentieren. Der leicht milchige Inhalt wird dabei klar und der Caviar erhält seinen unnachahmlich einzigartigen Geschmack: „Dezent salzig, aber keinesfalls übertrieben, eine leichte Fischnote ist okay, aber sie sollte das Produkt nicht dominieren. Das Korn muss möglichst prall sein, seidig glänzen und „rein“ schmecken, ohne Nebenaromen,“ erklärt Klinkhardt, der weltweit mit Caviar zu tun hat. Diese Beschreibung gilt für die bekanntesten Störarten: Beluga, Osietra, Sevruga und den Sibirischen Stör.
In den vorderen Räumen von Dieckmann & Hansen, zur großen Elbstraße hin, stapeln sich die Weihnachtsbestellungen, alle möglichen Dosen und Gläschen in hübschen Verpackungen. Den Inhalt erkennt man schon an der Deckelfarbe. Eine Frau im Pelzmantel begleitet von einem stattlichen Herrn hat sich zu dem Großhandelslieferanten verirrt. Sie möchte natürlich echten Caviar vom Stör, kennt sich aber nicht aus. „Niemals Caviar vom Metallbesteck,“ beginnt Zuther-Grauerholz, „das gibt einen Beigeschmack.“ Er reicht ihr einen kleinen Perlmuttlöffel und mit etwas Sibirskaya, sibirischem Caviar, zum Probieren. Die 50 g Dose zu etwa 35 €, ein guter Einsteiger. „Beluga ist der Exklusivste, besonders zartschalig und großkörnig mit einem buttrig sahnigen Geschmack,“ schwärmt der Caviar Liebhaber. Osietra schmecke festschaliger mit einem leicht nussigen Aroma und cremiger als der Caviar vom sibirischen Stör.
Die Dame lächelt. Das Paar entscheidet sich für den Beluga, die 50 g Dose zu etwa 170,00 €, es ist ja Weihnachten…
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