Matangi Arulpragasm, Maya, für ihre Freunde, und nun M.I.A., der internationale Superstar. Sie ist eine Rebellin. Mit geballter Power rappt sie ihre ganze Wut, ihren Misfallen aber auch ihre Lebensfreude in die Musik. Matangi fängt früh an Musik zu hören, zu performen und zu tanzen. Sie beherrscht die Kunst aus Kleinigkeiten, wie einem Einkauf im Supermarkt, Abenteuer zu kreieren und so den Alltag bunter zu gestalten. Bewegung ist ihr Ding und Film. Schon als Kind verfolgt sie mit der Kamera alles was an Veränderungen mit ihr und um sie herum passiert. Sie performed, beobachtet und reflektiert auf der Suche nach Identität. Diese Zeitschnipsel gestatten dem Zuschauer immer wieder unverhoffte Einblicke in ihre Geschichte. Wie sie beginnt Musik zu machen, was sie bewegt, wie sie mit den Enttäuschungen und Herausforderungen ihres Lebens umgeht und gewinnt.
Mitte der 1990er-Jahre studiert sie am Saint Martin’s College in London, bildende Kunst mit Schwerpunkt Film und Video. Inspiriert von Street Art, Hip-Hop und verschiedenen Migrationskulturen, entwickelt sie sich mehr und mehr zur Musikerin mit einer gewissen Culture-Clash-Ästhetik auf rüpelhaftem Rap. Steve Loveridge, ein ehemaliger Kommilitone von ihr, zeigt das. Dazu kuratiert er M.I.A.’s Filmarchiv zu einer spannenden Dokumentation. Der schüchterne Steve und die coole Maya sind enge Freunde. Dieses Vertrauen zeigt sich in der Nähe die im Film dargestellt wird und dem verständnisvollen Umgang mit Maya, der Tamilin als Künstlerin und Mensch.
M.I.A., die schon als Kind mit Gewalt und mit dem Krieg konfrontiert wird und vor dem Bürgerkrieg aus Sri Lanka fliehen muss. Ihr Vater, der angeblich Verbindung zu den Tamil Tigers unterhält, einer kontroversen Rebellengruppe, bleibt in der Heimat zurück. Die Neunjährige landet mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern im Südwesten Londons in einer Flüchtlingssiedlung. Dort leidet sie unter der Ausgrenzung und unter den Vorurteilen. Mit schmerzlichen Erfahrungen von Hänseleien in der Schule, weil sie die Sprache nicht spricht und von der Aufnahmegesellschaft immer wieder auf die „Andere“ reduziert wird, erkämpft sie sich den Stolz auf ihre ureigenen Erfahrungen und ihren Außenseiterstatus sehr hart. Trost findet sie immer wieder in der Pop Musik. Sie hört gerne Madonna bis ihr das Radio geklaut wird.
Loveridge weigert sich die Dinge zu vereinfachen, wenn es um breit diskutierte Ereignisse wie Mayas kontroverse Aktionen beim Superbowl 2012 geht. Frustriert durch die oberflächlichen Vermarktungsmechanismen der Musikindustrie, nach einem Auftritt mit Madonna, die sich dem nicht widersetzt, hält M.I.A. ihren Stinkefinger in die Kamera. Das erscheint prompt in den News. Und Lynn Hirschbergs düpiert sie in ihrem Porträt von M.I.A. im New York Times Magazine, das den Eindruck erweckt, als vertrüge sich ihre radikale politische Haltung nicht mit ihrem neuen Erfolg. Hirschbergs berüchtigte und vernichtende Bemerkung über Trüffel-Pommes u.a., erläutert ihr Regiesseur und Freund wie folgt: „Für mich war der Film eine Gelegenheit, all diese bekannten Ereignisse zu kontextualisieren und in 20 Jahren erlebter Geschichte zu verorten.“ Seine Montage dieses intimen und kompromisslosen Archivmaterials gibt die Sicht frei auf eine entschiedene Aktivistin, deren Arbeit stets aus dem tief verwurzelten Bedürfnis entspringt, sich gegen Unterdrückung und für Rechte einzusetzen. Mayas Beschäftigung mit ihrer eigenen Migrationserfahrung hat nichts vom Narzissmus eines Promis; es ist die Geschichte ihres Lebens, die für sie zu einer bewusstseinserweiternden Erfahrung geworden ist.
M.I.A. hat Mut. Sie hat ihren Schmerz ins Positive umgewandelt indem sie ihre migrantische Identität für sich nicht nur angenommen hat, sie hat sie sogar öffentlich gemacht. Sichtbar und hörbar in ihren Auftritten, in ihrer Musik, in ihrem gesamten gesellschaftlichen Leben, und das als Außenseiterin, das ist radikal!
Der Film beschäftigt sich mit weittragenden Fragen: Was passiert, wenn man sich als derartige Künstlerin außerhalb eines vorgegebenen Rahmens bewegt, Grenzen bewusst auslotet und sich nicht den Mund verbieten lässt? Wie weit kann man als dunkelhäutige Frau in der Öffentlichkeit heutzutage gehen? Was lässt die mächtige Musikindustrie, was lässt die Gesellschaft zu…
Die Mischung aus Musikfilm, Migrations-Dokument und gesellschaftskritischer Momentaufnahme macht MATANGI/MAYA/M.I.A. zu einem spannenden Filmerlebnis.
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